Endithors Tochter
Sendes wie einen Sohn. Bitte tretet doch nun ein: Ich wünsche Euch einen angenehmen Abend. Vielleicht unterhalten wir uns später noch ein wenig.«
»Danke, Lord Nalor.« Sonja schritt an ihm vorbei in den Saal und spürte auf ungute Weise, wie sein Blick ihr folgte. Sendes trat hinter ihr ein, und Sonja hörte, wie Nalor ihm ins Ohr flüsterte, als er an ihm vorbeikam:
»Ganz hinten, Sendes. Eine Schwertkämpferin? Ihr Götter!«
Unwillkürlich errötete Sendes und beeilte sich, Sonja einzuholen. Er brachte sie an einen Tisch am hinteren Ende des Saales, abseits der Tafeln mit den Edlen und Ratgebern.
Die Sonne ging unter›und als ihr letzter Widerschein in dem riesigen Saal allmählich an Kraft verlor, zündeten Sklaven Fackeln und Lampen an. Die Speisen wurden aufgetragen und ein Gang nach dem anderen in scheinbar endloser Reihenfolge vorgesetzt. Sonja aß, bis sie zu bersten glaubte, doch selbst dann probierte sie immer wieder kleine Kostproben von dieser oder jener Delikatesse. »Darf ich davon ein bisschen mitnehmen?« fragte sie Sendes einmal. »So etwas habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr bekommen.« Er lachte.
Die Darbietungen fanden allgemeinen Beifall. Es gab Tänzerinnen und Tänzer, einzeln und als Gruppe, Sänger und Musiker, ein Maskenspiel von Wanderkomödianten vorgeführt, ja sogar sechs kräftige Akrobaten, die abwechselnd gegen einen gefährlichen cimmerischen Bären kämpften – Nalor hatte ihn zu diesem Anlass extra einführen lassen. Ein Kreis bis an die Zähne bewaffneter Wächter schützte die Festgäste, falls das in Wut gebrachte Tier sich auf sie stürzen wollte. Den begeistertsten Beifall erhielten die sechs Akrobaten, als sie schließlich gemeinsam den Bären angriffen, um ihn zu töten. Nur einer der Männer wurde ernsthaft verwundet, aber Nalors Leibarzt versicherte den Zuschauern, dass sein Leben nicht in Gefahr war, sobald ihm erst der Arm abgenommen wäre.
Diese Darbietung versetzte Sonja in Zorn. »Nicht so sehr wegen der Akrobaten«, wandte sie sich an Sendes. »Wenn sie so töricht sind, sich für so was in Nalors Haus herzugeben, verdienen sie, verstümmelt zu werden! Ich bin des Bären wegen wütend!«
»Wegen des Bären?« fragte Sendes sie erstaunt.
»Natürlich! Es war nicht der freie Wille des bedauernswerten Tieres, sich hierher zerren zu lassen, dass glotzende Schwächlinge zusehen können, wie es gepeinigt und getötet wird – aus sicherer Entfernung, selbstverständlich. O ja, sie sind versessen darauf, Blut fließen zu sehen, solange es nicht ihr eigenes ist. Man brauchte nur einen dieser verweichlichten Glotzer in eine Bärenhöhle zu stecken, dann würde man schnell sehen, wessen Blut fließt!«
»Du siehst die Sache falsch«, erklärte Sendes geduldig. »Es ist doch lediglich eine Unterhaltung.«
»Ja, für diese vollgefressenen Schwächlinge, nicht aber für den Bären. Nein, nein! Steck sie alle in einen Wald mit dem Bären, Sendes, dann würdest du sehen, für wen es eine Unterhaltung ist. Das wäre weit mehr nach meinem Geschmack, glaube ich!«
Sendes schüttelte verständnislos den Kopf, aber er sah ein, dass sie eine Primitive fern ihrer Heimat und die Zivilisation ihr in mancher Weise fremd war. So schenkte er ihr Wein nach, lächelte entschuldigend für in der Nähe Sitzende, ‚die ihre Worte möglicherweise mit angehört hatten, und lenkte das Gespräch in andere Bahnen.
Das Töten des cimmerischen Bären war jedoch nicht das Ende von Nalors überraschendem Programm. Als der Kadaver aus dem Saal gezerrt wurde, erhob der Lord sich von seinem Tisch und ging zur Saalmitte; sorgsam achtete er darauf, nicht in die Blutlachen dort zu steigen. Die Hände schweigengebietend erhoben, verkündete er:
»Meine Freunde! Meine Freunde! Es ist mir eine große Freude, euch heute, zum Höhepunkt des Festes, mit den wundersamen Fähigkeiten eines Mannes zu ergötzen, den einige von euch vielleicht bereits kennen. Er ist ein guter Freund, ein hochgelehrter Mann von großer Weisheit, er vermag so viele Wunder zu wirken, dass ich den Rest der Nacht und den ganzen morgigen Tag dazu brauchte, wollte ich sie alle aufzählen. Doch will ich euch nicht mit langer Rede ermüden, sondern euch erstaunliche Unterhaltung bieten. Gestattet mir, euch nun meinen guten Freund, den Meister geheimer Künste und vieler Illusionen vorzustellen: den unübertrefflichen Zauberer, Lord Kus!«
Nalor klatschte. Nach einem Moment klatschten auch die Gäste, doch allzu groß
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