Endithors Tochter
Rückkehr zu warten, damit sie wusste, wer sich gütlich getan hatte. Nachdem sie, sich gestärkt hatten, setzten sie sich im Kreis vor dem Fenster auf den Boden und erzählten von ihren verschiedenen Abenteuern des vergangenen Tages. Einer musste den Nachttopf benutzen und die anderen machten dazu ihre rauen Bemerkungen.
Der Mondschein verschwand vom Fenster, als der Junge zu den anderen zurückkehrte, doch keiner erwähnte es.
Zwei gähnten.
»Merkwürdig, wie ich mich plötzlich schläfrig fühle«, wunderte sich Chost laut.
Das Mondlicht kehrte nicht zurück. Chost glaubte einen schwarzen Dunst am Fenster zu sehen, der sich ausbreitete, vor die Scheiben legte, in die Kammer drang und sich eine Armlänge vor seinen Freunden verdichtete – doch dieser Anblick weckte nur müßige Neugier in ihm.
Die Jungen schliefen ein – gar nicht so merkwürdig, dachte Chost, wenn man ihre Müdigkeit in Betracht zog –, lehnten sich aneinander, streckten sich auf dem Boden aus, sanken in den tiefen Abgrund eines Traums …
Der Dunst zischte. Gelbe Augen glühten aus dem schwarzen Nebel, eine Hand bildete sich, entwickelte Muskeln, nahm feste Form an. Und Chost, der das seltsamerweise gar nicht erstaunlich fand, spürte wie er ebenfalls in einen Schlaf mit angenehmen Träumen glitt.
Sonja war ahnungslos, als sie mit Lera die Treppe zu ihrer Kammer hochstieg. Sie roch keine ungewöhnlichen Düfte, hörte keine Geräusche, spürte keine Gefahr.
Sie öffnete die Tür ihrer Kammer, während sie immer noch über ihre Begegnung mit Areel nachdachte und sich fragte, was der kommende Tag bringen würde – da sah sie Kus groß und schwarz vor dem offenen Fenster stehen, mit dem Mondschein im Hintergrund. In den Armen hielt er einen kleinen Jungen, dessen Kopf auf unnatürliche Weise zurückgebogen war. Die Augen des Kindes waren gebrochen, Blut sickerte von seiner Kehle auf den Boden. Kus blickte auf und seine gelben Augen funkelten, dass Sonja wie angewurzelt stehen blieb.
»Erlik!« keuchte sie.
Kus zischte und blutiger Schaum bildete kurz einen roten Vorhang vor seinem Gesicht. Er ließ sein junges Opfer fallen. Die kleine Leiche, starr und blutlos, landete mit einem Plumps, doch so laut er auch war, er weckte die anderen Jungen nicht.
Plötzlich war Sonja, als wachse Kus – schwarz, böse und glühend mit dem Schein der lichtlosen Höllenflammen – um fast das Doppelte an, bis er von hoch oben auf sie herabschaute. Und die Kammer schien zu schrumpfen. Auch ihr Herz, ihre Instinkte schrumpften einen Augenblick …
Die Augen des Vampirs stahlen sie von ihr …
Da erwachten Sonjas tierische, barbarische Instinkte. Mit der Kraft der Verzweiflung wandte sie den Blick von Kus’ Augen ab.
»Lera! Verschwinde!« Sie wich zurück und schlug das Mädchen auf die Wange.
Lera taumelte zurück, fiel gegen die Wand und sackte lautlos auf den Boden …
Sonja sprang ganz in die Kammer, stieß die Tür mit einem Fuß zu und zog ihr Schwert.
»Vampir!«
Kus zischte und grinste grauenerregend.
»Ilorku!«
Roter Geifer rann über des Hexers bleiches Kinn. »Du!« knurrte er. »Dich will ich!«
Sonja, die ihn wachsam im Auge behielt, ahnte, dass er sich mit der Flinkheit eines Phantoms bewegen konnte. »Chost!« brüllte sie!. »Ihr alle! Wacht auf! Wacht auf!«
»Das können sie nicht!« Kus lachte höhnisch. »Außer ich befehle es ihnen. Sie träumen meine Träume und bald werden sie meinen Schlaf schlafen.«
»Unhold!«
»Ich kenne dich, Rote Sonja von Hyrkanien!« Das Blut gurgelte noch in Kus’ Kehle. »Du hast schon früher gegen Zauberei und Dämonen gekämpft, deshalb wagst du es jetzt, dich gegen mich zu stellen. Du wolltest dich mit Hexerei beschützen – ich spüre sie noch jetzt an dir. Hast du vielleicht einen schwachen Zauber gewirkt, Rote Hexe, in der Hoffnung, dadurch könntest du mir entgehen? Hahaha! Dein Zauber verbarg dich flüchtig vor mir, ja er wehrte sogar den Vampirschlaf ab, den ich dir am Abend schickte – doch jetzt bist du mein! Nicht länger wirst du gegen Zauberei kämpfen, denn Zauberei hat dich nun überwältigt; du wirst keine Dämonen mehr erschlagen, denn du wirst nun selbst Dämonin werden! Du wirst nach Blut gieren, das Tageslicht meiden, in Särgen schlummern und die Rituale für Semrog und Ordru durchführen. Auf die Knie mit dir!«
Sonja hob ihr Schwert – und sofort fühlte es sich untragbar schwer an. Kus’ Augen funkelten, und Sonja spürte gelbe Flammen in ihrem Kopf
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