Endithors Tochter
Bescheid?«
»Dazu war keine Zeit. Es ist eine sehr dringende Sache.«
Der Wachoffizier überlegte eine Weile, dann wechselte er einen Blick mit den Wächtern am Portal. »Gut«, entschied er. »Sagt Euren Leuten, sie sollen den Teppich absetzen. Meine Männer werden ihn tragen und Euch begleiten.«
Die Lohndiener legten die Teppichrolle auf die oberste Stufe. Sonja bezahlte sie und schickte sie fort.
Der Wachoffizier beugte sich über den Teppich. »Ich werde ihn untersuchen …«
Sonjas Arm schoss vor und über den Teppich. »Berührt ihn ja nicht! Es steckt ein Zauber in ihm. Glaubt Ihr vielleicht, ich sei lebensmüde, dass ich dieses Ding hierherbringe, ohne Lord Nalors strikte Anweisung?«
Erstaunt richtete der Offizier sich auf. »Zauber? Wovon in Mitras Namen redet Ihr?«
»Es ist keine Zeit zu verlieren!« fauchte Sonja. »Bald wird die Sonne untergehen, dann ist es zu spät! Bringt mich endlich zu Nalor!«
Immer noch war der Offizier unentschlossen.
»Lasst den Teppich sofort zu Eurem Herrn bringen! Beeilt Euch schon! In einer Stunde werdet Ihr mir dankbar für meine Hartnäckigkeit sein!«
Sonjas Eindringlichkeit gab den Ausschlag. Seltsame Dinge wurden über Kus und sein wahres We6en gemunkelt, und das hier mochte tatsächlich etwas damit zu tun haben. Überhaupt, wenn es eine List wäre, hätte eine einzelne Frau mit einem zusammengerollten Teppich keine Chance gegen die kleine Armee von Wächtern in Nalors Haus.
»Enrir …« Der Offizier deutete auf den Wächter links von ihm. Gemeinsam hoben sie den Teppich auf ihre Schulter. »Er ist viel schwerer, als ein Teppich von Rechts wegen sein dürfte.«
»Es sind Knochen in ihm«, sagte Sonja gleichmütig, »Gebeine aus der Zeit Acherons, die inzwischen versteinert sind.«
Die beiden Wächter schluckten, und Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn.
»Und jetzt – bitte – bringt mich zu Lord Nalor.«
»Er hält seine Nachmittagsruhe …«
»Das glaube ich nicht. Er erwartet mich!«
Sie kamen durch mehrere Korridore und eine Treppe hoch, die beiden Männer mit dem Teppich voraus, Sonja hinterher. Ihren Blicken entging nichts und ihre Sinne waren gespannt wie die eines jagenden Panthers. Ihre Gedanken überschlugen sich. Tammuz helfe mir, wenn irgend etwas schief geht! dachte sie.
Zwei Wächter standen vor der Tür zu Lord Nalors Gemach. Auf einen Wink des Wachoffiziers öffneten sie sie. Ein langer scharlachroter Läufer führte in der Mitte des Gemachs zu einem steinernen Podest, auf dem ein reichverzierter Diwan mit weichen Kissen stand. Auf ihm lag Lord Nalor. Er schlief jedoch nicht, sondern setzte sich nun, unwirsch über die Störung, auf.
»Was soll das?«
»Mein Lord«, sagte der Offizier, »diese Frau …«
»Ich kenne Euch! Ich kenne Euch!« rief der Edelmann plötzlich.
»Ich bin die Rote Sonja, Lord Nalor«, sagte sie, während die Wächter den Teppich absetzten.
»Was hat das zu bedeuten?« Nalor stieg die Podeststufen hinunter und blickte Sonja durch das halbe Gemach hinweg an.
Der Wachoffizier legte die Hand um den Schwertknauf. »Mein Lord, habt Ihr diese Frau nicht erwartet?«
»Lord Nalor«, rief Sonja schnell. »Mein Eindringen war nötig. In diesem Teppich habe ich die Waffe, die Kus, den Ilorku, vernichten kann!«
»Was?« Nalor machte vor Erstaunen einen Schritt rückwärts.
»Es ist wahr! Ich habe vom ersten Augenblick an erkannt, dass Kus ein Vampir ist, wie Ihr selbst sehr wohl wisst. Ich ahnte auch, dass er irgendwie Macht über Euch hat, während niemand Macht über einen haben kann, der sowohl Zauberer als auch Ilorku ist.«
»Schweigt, Weib!« schnaubte Nalor und blickte auf seine Wächter, die verlegen mit den Füßen scharrten. »Doch – wenn Ihr wahrhaftig eine Waffe gegen ihn habt …« Er kam näher heran, um mit zitternden Händen nach dem Teppich zu greifen.
»Einen Moment!« warnte Sonja. »Wir müssen vorsichtig sein. Passt auf!« Aus dem Gürtelbeutel zog sie den Talisman, der in ihrer Hand sanft zu leuchten begann. »Dieser Talisman beschützt mich, Lord Nalor. Wenn Ihr Euch nahe zu mir stellt, wird er auch Euch beschützen. Aber ich kann nicht sagen, ob sein Schutz auch noch die Wächter einschließt.«
Nalor blickte die Männer an.
»Es ist besser, wenn sie vor die Tür gehen.«
Nalor betrachtete Sonja misstrauisch. »Wie soll ich wissen, ob ich Euch trauen kann?«
»Fürchtet Ihr Euch vor einer Frau? Eure Wächter sind in Hörweite, falls Ihr sie braucht. Aber ich kann mich nicht für
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