Endithors Tochter
wahr, Sendes.«
Er fuhr sich über das schweißglänzende Gesicht und überlegte. »Sie muss vernichtet werden«, murmelte er.
»Aber sie ist immer noch die Edelfrau Areel!« hörte Lera sich widersprechen. »Noch vor einer Woche – vor wenigen Tagen erst, war sie meine gütige Gebieterin und keine Hexe, nicht diese – diese …«
»Sie ist wahnsinnig! Ich glaube, sie hat ihre Seele den Mächten der Finsternis verschrieben, um ihren Vater zu rächen. Sie ist offenbar bereit, jeden zu opfern, um dieses Ziel zu erreichen. Wie kannst du sicher sein, dass sie nicht beabsichtigt, dich ebenfalls zu opfern – durchzuführen, was ihr Vater begann? Hast du darüber schon nachgedacht? Und du würdest ihr gegenüber schwach sein und zaudern und gar nicht erst versuchen, dich gegen sie zu wehren, ganz einfach deshalb, weil sie vor drei oder vier Tagen noch Endithors Tochter war und kein Geschöpf der Hölle wie jetzt!«
Erstaunt über sich selbst, sagte Lera nichts weiter als: »Sag mir, was du von mir erwartest. Ich kann dir nichts versprechen, dass ich es auch wirklich tun werde – im Grunde genommen möchte ich nichts als fortlaufen – obgleich ich fürchte, dass sie mich mit ihrer Hexerei schnell aufspüren würde …«
»Wenn wir getan haben, was getan werden muss, Lera, wird eine Flucht nicht mehr nötig seih. Wir brauchen vor niemandem mehr zu fliehen, außer, vielleicht, vor Nalor und Kus. Aber ich glaube, dass sie nur wütend auf Areel sind …«
»So sag mir, was ich tun soll.«
Er führte sie zu einem flachen Felsblock hinter einigen Ulmen und hieß sie, sich neben ihn zu setzen. »Ich möchte dich nicht in noch größere Gefahr bringen, als du dich ohnehin befindest, Lera. Aber wenn es schon gefährlich für dich ist, nur in Areels Haus zu leben und nichts zu unternehmen, wird es nicht gefährlicher sein, etwas zu deinem eigenen Schutz zu tun.
Im Augenblick möchte ich nur, dass du Areels Vertrauen gewinnst. Fürchtest du dich vor Nalor? Vor Kus? Nein – nein, du kennst sie ja nicht einmal. Aber sie sind Areels Feinde, sie haben sie in ihrem eigenen Haus angegriffen, also flehe Areel an, dich zu beschützen. Sag ihr, du hast Angst, du möchtest nicht so jung sterben. Sag ihr, dass du sie brauchst und alles tun wirst, ihr zu helfen. Das ist der erste Schritt. Wenn sie es zulässt, dann bleib bei ihr, während sie ihre Zauberei wirkt. Sag ihr, du fürchtest dich, allein zu sein, oder du hast Angst vor den Dienern – irgend etwas. Wenn sie dich für verängstigt genug hält – und für von ihr abhängig –, ist sie vielleicht so eitel, dich bei ihr zu lassen. Ich weiß, wie eitel und stolz Areel ist. Sieh zu, dass sie dir vertraut, Lera. Und wenn du dessen sicher bist, dann geh in ihr Gemach, wenn sie nicht dort ist, und suche nach all den Dingen, die ihr besonders wichtig sind. Nimm sie und verstecke sie. Gib sie später mir. Wenn Areel bemerkt, dass sie verschwunden sind, dann behaupte, Nalors oder Kus’ Wächter wären ins Haus eingedrungen und hätten herumgestöbert. Verstehst du?«
»Ja, ja«, antwortete Lera atemlos.
»Nimm diese Zaubermittel und bring sie zu mir. Ich habe ein Versteck für mich in der Straße der Weinhändler gefunden, im Südostviertel. Weißt du, wo sie ist? Ja? Such dort nach der Schenke zum Einhorn. Der Wirt dort ist ein verschlagener Aquilonier. Er kennt mich unter dem Namen Ombus. Merk es dir – Ombus, ja?«
»Ombus …«
»Bring das Zeug zu mir und zwar möglichst schon morgen oder übermorgen. Verstehst du?«
»Ja, ja …«
»Denn dann habe ich einen wichtigen Faden für mein Netz, in dem wir sie fangen können. Du weißt, was ich meine?«
»Ja, Sendes, ja.«
»Sie muss vernichtet werden.«
Lera schwieg.
»Fürchtest du dich denn nicht vor ihr? Willst du nicht, dass sie stirbt?«
»Ich – ich möchte nur, dass sie weggeht. Ich möchte selbst irgendwohin gehen können – wo ich in Sicherheit bin – ohne von Zauberei verfolgt zu werden.«
»Du wirst in Sicherheit sein. Das werden wir beide. Wir werden Shadizar verlassen können, ohne uns noch Sorgen um Areel und ihre Hexerei machen zu müssen. Also, wie heiße ich?«
»Sen … Ombus. Ombus!«
»Im Einhorn!«
»Im Einhorn«, bestätigte das Mädchen.
Sendes stand auf, seufzte tief und streckte sich. »Komm, ich bringe dich in die Stadt zurück, damit dir nichts passiert, Lera.«
Ihre Augen wirkten traurig und spiegelten das Mondlicht wider.
»In zwei Tagen, Lera, im Höchstfall in drei, sind wir frei
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