Endlich gefunden
Verschwinden des Mädchens in Kenntnis gesetzt worden sind? Weiß denn Herr Blake nichts davon?
In ihrem Benehmen ging eine merkliche Veränderung vor. Ich habe es ihm beim Frühstück mitgeteilt, erwiderte sie, aber Herr Blake kümmert sich nicht viel um seine Dienerschaft; er überläßt mir alle häuslichen Angelegenheiten.
So weiß er gar nicht, daß Sie die Polizei geholt haben?
Nein, und ich bitte Sie auch, es ihm zu verschweigen. Er mischt sich nie in solche Dinge, und braucht es nicht zu wissen. Ich werde Sie durch die Hintertür einlassen.
Wie nahm denn Herr Blake heute morgen Ihre Mitteilung auf, daß dies Mädchen – wie heißt sie eigentlich?
Emilie.
Daß diese Emilie in der Nacht verschwunden ist?
Sehr ruhig. Er saß beim Frühstück, in seine Zeitung vertieft, sah mich zerstreut an, zog die Stirne in Falten und sagte mir, ich möge die Dienstboten-Angelegenheiten besorgen, ohne ihn damit zu behelligen.Da sah ich denn, daß sich nichts weiter tun ließ und schwieg. Herr Blake ist kein Mann, den man zum zweitenmal stören darf.
Das glaubte ich ihr gern nach dem, was man in der Öffentlichkeit von seinem verschlossenen, zurückhaltenden Wesen wußte.
Wir waren jetzt nur noch wenige Häuser von dem altertümlichen Gebäude entfernt, welches jener Abkömmling der Neuyorker vornehmen Welt bewohnte. Ich ließ daher meinen Begleiter in dem nächsten Torweg warten. Auf ein verabredetes Zeichen sollte er Herrn Gryce herbeiholen, im Fall ich seine Hilfe brauchte. Dann fragte ich die Frau, deren Unruhe jetzt bei jedem Schritt wuchs, wie sie mich in das Haus zu bringen gedächte, ohne daß Herr Blake darum wisse.
Sie brauchen mir nur die Hintertreppe hinaus zu folgen, versetzte sie; er wird nichts bemerken und jedenfalls keine Fragen stellen.
Jetzt standen wir an der Seitenpforte; sie nahm einen Schlüssel aus der Tasche, schloß auf und wir traten in das Wohnhaus ein.
Zweites Kapitel.
Frau Daniels, so hieß die Haushälterin, führte mich sofort nach dem Hinterzimmer im dritten Stock. Als wir durch die Gänge und Vorsäle kamen, fiel mir die reiche Verzierung an den altertümlichen Wänden und schweren Freskodecken auf. Mein Beruf hatte mich wohl schon in manches vornehme Haus geführt, aber über eine solche Schwelle war ich doch noch nie geschritten. Törichte Empfindsamkeit ist mir fremd; trotzdem überkam mich eine förmliche Scheu, in dieser aristokratischen Behausung polizeiliche Untersuchungen anzustellen.
Kaum hatte ich jedoch das Zimmer des vermißten Mädchens betreten, so schwand jede andere Rücksicht vor meinem Forschungstrieb, meinem Ehrgeiz. Beim ersten Blick erkannte ich, daß es sich hier nicht um alltägliche Vorgänge handle, daß das Verschwinden des Mädchens von rätselhaften Umständen begleitet war. Ich will die Tatsachen in der Reihenfolge berichten, in welcher sie sich mir aufdrängten.
Die ganze Ausstattung des Zimmers paßte nicht für eine gewöhnliche Näherin. Zwar schienen die Möbel einfach im Vergleich zu dem Reichtumdes übrigen Hauses, aber doch waren in dem geräumigen Gemach Luxusgegenstände genug vorhanden, um Frau Daniels Angaben über den Stand des Mädchens als sehr fragwürdig erscheinen zu lassen.
Die Haushälterin bemerkte meinen verwunderten Blick und war gleich mit einer Erklärung bei der Hand. Von jeher ist dieses Zimmer zur Näharbeit benutzt worden, sagte sie. Als Emilie kam, glaubte ich, es sei besser, hier ein Bett hineinzustellen, als sie eine Treppe höher schlafen zu lassen. Sie war ein sehr sauberes Mädchen und hat nichts in Unordnung gebracht.
Ich blickte mich um und sah die Schreibmappe auf dem Tischchen in der Mitte des Zimmers, die Vase mit den halbverwelkten Rosen auf dem Kaminsims, Shakespeares Werke und Macaulays Geschichte auf dem Eckbrett zu meiner Rechten; ich hatte dabei meine eigenen Gedanken, sagte aber nichts. Als ich nun noch genauere Umschau hielt, ward mir dreierlei klar: erstens, das Bett des Mädchens war in der letzten Nacht unberührt geblieben; zweitens, eine Art Kampf oder Ueberrumpelung mußte stattgefunden haben, denn eine der Gardinen war gewaltsam zerrissen, als habe sich eine Hand daran festgeklammert, und ein Stuhl lag umgeworfen mitabgebrochenem Bein am Boden; drittens, der Ausgang – wie seltsam dies auch erscheinen mag – war offenbar durch das Fenster genommen worden.Haben Sie die Türe heute früh verschlossen gefunden? fragte ich.
Ja, aber eine Nebentüre führt von meinem Zimmer in das ihrige; es
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