Endlich
der irakische Soziologe Kanan Makiya, der amerikanische Journalist Peter Galbraith, die Waliser Journalistin Ann Clwyd und der schwedische Diplomat Rolf Ekéus. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die menschenrechtlichen Motive dieser Gruppe das Bild von Saddam Hussein in Washington tatsächlich beeinflusst haben. Aber dann gerieten die Argumente dieser Gruppe in die Hände einer kriegsentschlossenen Regierung, die noch aus ganz anderen Gründen – Rache für das Attentat vom 11. September, den Krieg von Vater Bush zu Ende bringen, die Autorität und Handlungsfähigkeit der tief verwundeten Supermacht USA wiederherstellen – den Krieg im Irak vom Zaun brach. Und Christopher Hitchens, der Moralist, sah sich außerstande, die schrecklichen Verirrungen der Bush-Cheney-Regierung im weiteren Verlauf des Krieges, die Hunderttausende von Zivilopfern, die Legalisierung der Folter und Gefängnisse wie Abu Graib und Guantanamo mit sich brachte, mit derselben Wucht zu verurteilen, an der es ihm sonst nie gefehlt hatte. Er, der Verweigerer jeder Korrektur, war in einer unseligen Solidarität mit den furchtbaren Exekutoren des von ihm gewollten Krieges gefangen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er die haarsträubende Inkompetenz, mit der der Krieg und der auch von ihm befürwortete regime change durchgeführt wurde, aus tiefstem Herzen verurteilte. Aber seine öffentlichen Verlautbarungen darüber sind matt geblieben.
Aber Hitchens wäre nicht Hitchens, hätte er den Anwälten der Wiedereinführung der Folter, Donald Rumsfeld und Dick Cheney, nicht auf seine Weise doch noch eine Ohrfeige versetzt. Er beschloss, am eigenen Leibe die berüchtigte Verhörpraxis namens waterboarding zu testen. Er hat sich dieser Prozedur freiwillig unterzogen, um sie beschreiben zu können. Allerdings hatte er dabei, so schreibt er, das einzigartige Privileg, diese Prozedur auch abbrechen zu können. Er tat es – im Unterschied zu manchen Folteropfern von Al Qaida, die erst nach Minuten aufgaben – nach wenigen Sekunden. Christopher Hitchens beendet die Beschreibung dieser Erfahrung mit einem meisterlichen Satz. Als hätte er den Anlass der von ihm selbst veranlassten Prozedur vergessen, schließt er seinen Erlebnisbericht mit dem Satz: »Und übrigens: Glauben Sie mir: es ist Folter!«
***
In seinem letzten Werk stellt er sich einem Kampf, den er nicht gewinnen konnte. Sein Vater war an Speiseröhrenkrebs gestorben. Die Diagnose nach einem Zusammenbruch bei einer von Christopher Hitchens’ Vortragsreisen ergab, dass er an derselben Krankheit litt. Wir haben per E-Mail ein paar Worte darüber verloren, ob er seine Erkrankung nun seinen Lastern oder einer genetischen Disposition zu verdanken hatte. Jedenfalls beschwor mich Christopher, nicht nur meine Lunge sondern auch meine Speiseröhre und meinen Kehlkopf regelmäßig einem Test zu unterziehen. »You don’t want to have«, schrieb er mir im August 2010 in seiner lakonischen Art, »what I have.«
Am 14. 8. 2010 schrieb ich zurück.
Lieber Freund,
ich habe gerade entschieden, deinem Rat zu folgen, sobald »meine« Lungenexpertin aus den Ferien zurück ist. Ich bin sicher, sie kennt sich auch mit der Speiseröhre aus. Ich werde nächstes Jahr einige Monate in Washington sein. Und ich bin sicher, wir werden die Zeit finden für die eine oder andere Flasche. Mir ist klar, dass im Augenblick in deinem Leben kein Platz für Alkohol ist. Aber wenn du mit der Chemotherapie durch bist, holen wir das nach. Ich hoffe, dass du, was die Medizin angeht, in den besten Händen bist. Ich kann mir vorstellen, dass du überhäuft wirst mit Ratschlägen von guten und nicht so guten Freunden, welche Kuren dir guttun. Ich habe nichts übrig für Religion. Aber noch weniger übrig habe ich für Ersatzreligionen.
A big hug
Peter
Als ich dann seinen öffentlichen Auftritten in der Phase seiner Krankheit folgte, war ich perplex. Es war unglaublich: der todkranke Christopher reist nach Toronto, um sich – nach seinem Buch God is not great (Der Herr ist kein Hirte) , das ihm die Herzen vieler Anhänger zurückgewann, die sich nach seiner Parteinahme für den Krieg in Irak von ihm abgewandt hatten – einem Streitgespräch mit dem zum Katholizismus konvertierten Tony Blair über Gott und den Nutzen der Religion zu stellen. Ich hatte Tony Blair ungeachtet seiner schillernden politischen Positionen immer für einen begnadeten Redner gehalten. Im Streitgespräch (am 27. 11. 2010) blieb der bereits vom Tod
Weitere Kostenlose Bücher