Endlich
Alkohol mit ihm anstellte, sein Gedächtnis und seine geistige Klarheit blieben unberührt.
So vergingen unsere Nachmittage. Aber eigentlich auch die Vormittage. Kurz nach dem Aufstehen begrüßte mich Christopher mit der fröhlichen Ankündigung: The bar is open! Die Abende nach diesen Vormittagen und Nachmittagen verbrachten wir dann am großen Tisch mit seiner Frau Carol und den vielen Freunden der Familie, mit denen Carol und Christopher mich großzügig bekannt machten. Gekocht wurde so gut wie nie, aber die große Auswahl von vietnamesischen und italienischen Catering-Adressen neben dem Telefon sorgte für eine vorzügliche Bewirtung.
Am Ende dieser Abende konnte es passieren, dass Christopher sich von Carol und mir mit der Entschuldigung verabschiedete, er müsse rasch noch einen Artikel für Vanity Fair oder für eine Internet-Zeitung verfassen. Während ich in meinem Zimmer zwei Alka-Seltzer-Tabletten in Wasser auflöste und auf ihre Wirkung wartete, stellte ich mir Christopher an seinem Laptop vor – genau wie ich verschmähte er den Desk-Screen, ich glaube er hat so gut wie alles, was er schrieb, in seinen Laptop getippt – und fragte mich, wie er jetzt noch schreiben könne. Wartete er wenigstens bis zum Morgen, bevor er den Artikel abschickte? Wahrscheinlich nicht. Gemäß seiner Devise, dass Korrekturen eine Art Verrat an der ursprünglichen, im Kopf bis aufs Komma voraus gedachten Gestalt eines Textes darstellten, hat er wohl auch seinen in der Nacht verfassten Texten eine zweite Fassung verweigert.
Was meine Zuflucht zu Alka-Seltzer anging, hat Christopher mir früh einen professionellen Rat gegeben. Die Ingredienzien von Alka-Seltzer, meinte er, würden sich nicht im Mindesten von einem Produkt namens baking soda unterscheiden, das für ein Viertel des Preises in jeder Apotheke erhältlich sei. Ich versuchte es eine Weile mit baking soda , aber kehrte dann doch zu Alka-Seltzer zurück. Nach meinen Feststellungen fehlt baking soda eine Substanz, die den Magen beruhigt – kurz die Hauptsache.
Nach zehn Tagen musste ich ausziehen. Ein gemeinsamer Freund, den ich aus den Tagen meiner Besuche in Sarajevo kannte, hatte seinen Besuch in Washington angekündigt: David Rieff.
Das Haus, in dem ich mit meiner Familie wohnen sollte, war immer noch nicht verfügbar. So zog ich in die Villa eines befreundeten Ehepaars, das ich aus ganz anderen Zusammenhängen kannte. Die aus Deutschland stammende Literaturhistorikerin Ernestine Schlandt hatte mich schon Jahre zuvor zu einer großen Konferenz in Washington eingeladen. Ihr Mann Bill Bradley, ein ehemaliger Basketball-Star der New York Nicks, war damals Governor von New Jersey und als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 im Gespräch. Bill Bradley nahm mich freundschaftlich – eigentlich wie einen Basketball-Kameraden – in sein großes Haus in Washington auf. Seine Frau Ernestine war nicht in der Stadt. Bill verließ morgens gegen acht das Haus, um seine Pflichten im Senat wahrzunehmen. Sobald er aus dem Haus war, taperte ich die vielen Treppen in dem Haus auf und ab auf der Suche nach etwas Trinkbarem – wenn schon nicht Black Label, wenigstens die eine oder andere Flasche Bier musste sich doch finden lassen! Ich öffnete sämtliche Kühlschränke, erforschte den Keller, riss versehentlich die Türen von Kleiderschränken auf – aber fand nichts.
Als ich mich wieder an Wasser gewöhnt hatte, erzählte ich Bill von meiner vergeblichen Suche und versprach, ich würde, wenn jemand in dem bevorstehenden Wahlkampf behaupten würde, er sei Alkoholiker, unter Eid für ihn aussagen.
Meine Familie und ich haben Christopher und Carol dann bei jedem unserer vielen USA-Aufenthalte wiedergesehen. Mal in Washington, mal in New York, mal in Carols Heimat Kalifornien. Und wenn und wo immer wir uns begegneten, war es wie am ersten Tag: eine Freundschaft, unkompliziert und großzügig, ein einziger Spaß. Hin und wieder schrieben wir uns E-Mails, die Christopher nicht selten mit dem in Deutschland längst obsoleten Wort »Genosse« einleitete. Einmal begrüßte er mich in Washington an der Tür mit der deutschen Anrede »Kamerad«. Er erschrak, als ich ihm erklärte, dass dieses Wort in Deutschland eine ganz andere Konnotation hatte als das englische comrade und allenfalls von den deutschen Neonazis benutzt wurde.
Natürlich habe ich nur einen kleinen Teil von Christophers zahllosen Artikeln gelesen – er habe, schreibt er in seiner
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