Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Züge gespielt, und Collins bot Fischer ein Remis an. Es war eine Geste der Höflichkeit, doch Bobby wirkte getroffen, fast beleidigt. Für ihn kam ein Remis fast einer Niederlage gleich, und er sah sich im Vorteil. Er wollte kämpfen. Trotzdem nahm er aus Respekt vor seinem Mentor das Angebot an. Er sang seine Antwort fast: »Okaaay.« Danach wandten sich seine Gedanken sofort dem Essen zu. Bobby bestellte sein Lieblingsmenü: Eierflockensuppe, Chop Suey, Pistazieneis, dazu wie immer ein Glas Milch.
Bobbys Mutter Regina Fischer (geborene Wender) stammte aus der Schweiz, war aber schon im Alter von gerade zwei Jahren mit ihrer Familie nach Amerika gekommen. Nach ihrem Uni-Abschluss – sie war noch keine 20 Jahre alt – besuchte sie ihren Bruder in Deutschland, der dort als Seemann der amerikanischen Marine stationiert war. In Berlin fand sie eine Stelle bei dem amerikanischen Genetiker und späteren Medizin-Nobelpreisträger Hermann J. Muller, als Sekretärin und Gouvernante für sein Kind. Muller und Regina waren sich in Berlin an der Universität begegnet, wo Regina Kurse belegt hatte. Regina bewunderte seinen Verstand und Humanismus, er schätzte sie, weil sie Deutsch sprach, Steno beherrschte und sehr schnell tippte. Außerdem war sie klug genug, um seine komplexen Ausführungen auf den Gebieten Chemie und Genetik zu verstehen und korrekt niederzuschreiben. Muller ermutigte sie, Medizin zu studieren und ihm in die UdSSR zu folgen, wo er einen Forschungsauftrag erhalten hatte. Sie ging mit ihm und studierte von 1933 bis 1938 am ersten medizinischen Institut Moskaus Medizin. Sie blieb Muller lebenslang verbunden, über 50 Jahre lang.
Eine weitere Person ging mit Muller nach Russland: sein Mitarbeiter, der Biophysiker Hans Gerhardt Fischer. Fischer hatte ursprünglich Leibscher geheißen, doch angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland seinen Namen in das weniger jüdisch klingende Fischer geändert. Fischer bekam eine Stellung am Moskauer Hirnforschungsinstitut. Fischer und die 20-jährige Regina verliebten sich ineinander und heirateten im November 1933 in Moskau. Einige Jahre später kam ihre Tochter Joan zur Welt. Als unter Josef Stalin auch in der UdSSR der Antisemitismus um sich griff, fühlten sich die jungen Eltern im Land nicht mehr sicher. Nach sechs Jahren Medizinstudium setzte sich Regina aus dem Land ab, ohne einen Abschluss gemacht zu haben. Sie zog nach Paris und arbeitete dort als Englischlehrerin.
Hans Gerhardt zog zwar auch nach Paris, um nah bei seinem Kind sein zu können, lebte aber in einer eigenen Wohnung: Regina und er hatten sich vor der Abreise aus Moskau getrennt, blieben aber verheiratet. Als später die Nazis in Frankreich einzufallen drohten, bereitete Regina ihre Rückkehr nach Amerika vor. Joan nahm sie mit, doch Hans Gerhardt bekam als deutscher Staatsbürger kein Visum. Er flüchtete aus Europa und ließ sich schließlich in Chile nieder. 1945 ließ Regina sich von ihm scheiden, wegen ausbleibender Unterhaltszahlungen. Damals lebte sie in Moscow, Idaho. Ein örtlicher Journalist fand den Zufall, dass jemand in Moskau (englische Schreibweise: Moscow) heiratete und sich dann in Moscow wieder scheiden ließ, so witzig, dass er eine Schlagzeile daraus machte.
In den frühen Vierzigern tingelte Regina Fischer auf Arbeitssuche durch die USA. Sie zog mit Joan umher, durch ein Amerika, das noch unter den letzten Nachwehen der Weltwirtschaftskrise litt und mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu kämpfen hatte. Regina und Joan lebten nur knapp oberhalb der Armutsgrenze. Im Juni 1942 wurde Regina ein zweites Mal schwanger, mit Bobby. Während Reginas Schwangerschaft übernahm ihr Vater, Jacob Wender, die fünfjährige Joan. Als Bobby am 9. März 1943 im Michael Reese Hospital in Chicago geboren wurde, war seine Mutter obdachlos. Sie nannte ihr Neugeborenes Robert James Fischer und gab in der Geburtsurkunde Hans Gerhardt Fischer als Vater an, obwohl dieser nie die Vereinigten Staaten betreten hat. Nach etwa einer Woche im Krankenhaus zog Regina mit dem Baby in das Sarah Hackett Memorial House, ein Heim für mittellose alleinstehende Mütter. Dort angekommen, rief Regina ihren Vater an und bat ihn, Joan zu ihr nach Chicago zu bringen. Doch das Heim weigerte sich, das ältere Kind aufzunehmen. Als Regina trotzdem dort wohnen blieb, nahm die Polizei sie wegen Hausfriedensbruchs fest. Regina, Joan und Bobby mussten ihr Zimmer räumen. Zu einem Prozess wegen
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