0480 - Champagner-Party bei Capone
Er kam nach New York, so arglos wie ein Baby. Er sollte einen bestimmten, völlig ungefährlichen Auftrag erledigen, und bei dieser Gelegenheit wollte er einen alten Kriegskameraden besuchen. Neunzig Minuten nach seiner Ankunft war er mausetot. Jemand hatte ihm mit einer Flasche Johnny Walker von hinten den Schädel eingeschlagen.
Die Jungs vom Städtischen Bauamt genießen öfter einmal das Vergnügen, während der Dienstzeit und auf Kosten der Steuerzahler einen guten Schluck trinken zu dürfen: nämlich jedesmal dann, wenn irgendein öffentliches Bauwerk feierlich seiner Bestimmung übergeben wird, ob es sich nun um eine Brücke, ein Kinderheim oder den Verwaltungstrakt einer Behörde handelt. Wir armen G-men von der Bundespolizei hingegen sollen während der Dienstzeit überhaupt keinen Alkohol und in der Freizeit nur äußerst wenig trinken. John Edgar Hoover, unser allgewaltiger Chef in Washington, hält von einem angesäuselten G-man gar nichts, und von einem Betrunkenen hält er so wenig, daß er ihn auf der Stelle feuern würde. Was natürlich seine guten Gründe hat.
Trotzdem waren mein Freund Phil Decker und ich am Mittwochmorgen gegen halb zehn schon mit dem zweiten Scotch auf Eis beschäftigt. Und das mit der hochoffiziellen Genehmigung unseres Distriktchefs. Mr. High hatte uns am Nachmittag zuvor in sein Arbeitszimmer rufen lassen und auf eine vornehm wirkende, im Prägedruckverfahren, hergestellte Einladungskarte getippt:
»Rockefeller gibt morgen früh eine Champagner-Party«, erklärte er dabei.
»Kunststück«, meinte Phil. »Wenn ich so viel Geld wie Rockefeller hätte, würde ich für meine Freunde auch ab und zu mal eine Party geben.«
Mr. High schüttelte den Kopf.
»Ich rede nicht von der weltbekannten Millionärsfamilie Rockefeller.«
Bei mir fiel der Groschen:
»Dann«, sagte ich, »kann die Rede eigentlich nur von Alfred Rockefeller sein. Fabrikant für Polizeibedarf aller Art. Weder verwandt noch verschwägert mit dem gleichnamigen Multimillionär Rockefeller.«
»Richtig«, bestätigte Mr. High. »Ich rede von dem Mann, der fast allen Polizeiorganisationen der Nordost-Staaten die Schulterhalfter, die Fingerabdruck-Bestecke, die Gummiknüppel, die Vernehmungsformulare, und was weiß ich sonst noch liefert.«
»Da sieht man mal, was der Bursche an uns verdient«, sagte Phil und grinste. »Hat er die wichtigsten Vertreter aus der Unterwelt auch zu seiner Party eingeladen? Schließlich verdankt er denen ja indirekt sein Geschäft.«
»Ich will nicht hoffen, daß seine Gastfreundschaft so weit geht«, entgegnete Mr. High und lächelte amüsiert. »Jedenfalls dachte ich, daß ihr beide ganz offiziell als Vertreter des FBI hingehen solltet.«
So also fing für uns die Geschichte an. Ich ließ den-Jaguar zu Hause stehen. Phil und ich fuhren mit dem Taxi zu dem Wolkenkratzer, wo die Party stattfinden sollte. Er gehörte zu den vier oder fünf größten Gebäuden, die Manhattan aufzuweisen hat. Als wir die riesige Halle im Ergeschoß betraten, hatten wie die Wahl zwischen 29 Aufzügen für den Personenverkehr. Vier davon waren Expreßlifts und hielten nur in jeder zehnten Etage. Alfred Rockefeiler bewohnte ein luxuriöses Apartment, das wie ein Bungalow auf das Dach des 89. Stockwerkes gebaut war. Als wir es betraten, war es zwei oder drei Minuten nach neun Uhr früh. Wir rechneten mit einem vergnügten Vormittag. Aber eine Stunde später war die Hölle los.
***
Um neun Uhr zwei betrat Roger Healing einen der Lifts. Außer dem Fahrstuhlführer in seiner giftgrünen Uniform befand sich nur noch ein dickleibiger Mann Anfang der Fünfziger im Lift. Er trug einen grauen City-Anzug mit einer blaurotgestreiften Krawatte, die er knapp unterhalb des zu groß geratenen Knotens mit einer Perle geschmückt hatte. Sein schwammiges Gesicht war auffallend blaß. Healing hörte während der kurzen Fahrt bis zum sechsten Stockwerk, wie der Dicke schwer und schnaufend atmete, als ob es ihm Mühe machte, überhaupt Luft zu bekommen.
Im sechsten Stock stieg Healing aus, ging den C-Flur hinab und betrat das Juweliergeschäft von Mail and Sons. Eine junge weißblonde Verkäuferin in einem dezenten anthrazitgrauen Kleid aus einem weichen anschmiegsamen Wollstoff lächelte ihm auf eine unpersönliche Art zu. Erst als er in den Lichtkreis der Lampe geriet, die über der gläsernen Verkaufsvitrine hing, erkannte sie ihn.
»Oh, Mr. Hall«, sagte sie. »Guten Morgen. Ihr Ring ist fertig. Ich hole ihn aus der
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