Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
Kommentaren.»
«Diese Vreni – hübscher herziger Schweizer Name», und er schüttelt sich hämisch grinsend, «diese Vreni wird vielleicht weitere umbringen, wenn man sie lässt. Sie ist ebenso wütend auf den Zenger wie auf James. Vielleicht nur Zufall, dass James zuerst dran glauben musste. Aber der Zenger … Zenger, hab ich ihm gesagt, Zenger, nimm dich in Acht. Aber auf mich hört ja keiner.»
«Was soll denn die Vreni mit diesen Leuten zu schaffen gehabt haben?», wundert sich Amalia nun ungehalten.
«Ihr wisst es also nicht! Ihr Bruder, das ist doch der berühmte Hans Weissenfluh aus Grindelwald! Der letzten Sommer umkam. Mit Zenger. Ohne Seil!» Duncan blickt vielsagend in die Runde. «Er war der beliebteste Führer bei James. Die beiden haben sich um ihn gestritten. Offenbar ist es Zenger letzten Sommer gelungen, ihn zuerst für sich zu engagieren. Und dann ging die Sache schief. Lawine. Weissenfluh starb irgendwo in diesen verfluchten Bergen. Schade um den Burschen, echte Natur, schweigsam, zäh, sicher. Ich weiss nicht, wie es geschah. Eine oft begangene Stelle. Aber die Verhältnisse sind manchmal unberechenbar.»
«Und jetzt wollen Sie daraus der Vreni einen Strick drehen? Sie wollen doch nur von sich ablenken, Farthing.» Sir Butterworth ist dieser Bursche offensichtlich unangenehm.
«Ach, ach, man regt sich auf? Ich meine nur, es hätten auch andere ein Motiv. Und das Personal ist zumindest ortskundiger als die Gäste und wüsste genau, wie und wann man am besten …», fährt Duncan ungerührt fort.
«Ja, ja, wir werden sie befragen. Aber Sie bleiben in der Nähe! Und diese Zeichnungen werden sofort konfisziert, haben Sie verstanden? Nicht auszudenken! Sie bringen sie auf der Stelle hierher!», verlangt Sir Butterworth ultimativ.
Als Duncan aus der Tür ist, wendet sich Sir Butterworth an Amalia:
«Jeder verdächtigt hier inzwischen jeden, denken Sie nicht auch?»
«Vielleicht, um die eigene Haut zu retten», überlegt Amalia.
«Gut», Sir Butterworth räuspert sich, «es ist zugegebenermassen schwierig zwischen den einheimischen Bergführern und den Besuchern aus England und aller Welt. So eine Art Zwangsgemeinschaft. Und wenn etwas schiefläuft, dann gibt man sich gegenseitig die Schuld.»
«Sie müssen aber zugeben», gibt Amalia zu Bedenken, «dass die Spiesse bei dieser Auseinandersetzung ungleich lang sind.»
Sir Butterworth sieht sie nur fragend an. Also fährt sie fort.
«Hier bei uns hat der Verlust eines Familienmitglieds oft tragische Konsequenzen. Vor allem, wenn es sich um den Vater handelt, der das Geld in die Familie bringt. Wenn der stirbt, ist das eine Tragödie. Ich habe Fälle erlebt, da bedeutete das für die ganze Familie praktisch das Ende.»
«Schon, aber es kommen mindestens ebenso viele Engländer um bei diesen Unternehmungen wie Einheimische, oder nicht?», verteidigt Sir Butterworth seine Landsleute.
«Sicher», Amalia wagt sich etwas vor, «aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Sie haben die Wahl, sie könnten etwas weniger Gefährliches unternehmen. Sie müssten nicht ihr Leben riskieren. Unsere Bergführer hingegen, was haben die für eine Wahl?»
«Ja, ja», lächelt Sir Butterworth, «wie sagte doch neulich ein Freund von mir: ‹ If a guide dies, his family dies with him too, but if an Englishman dies, his folly will lay him to rest. › 11 Wir Engländer sind manchmal etwas zu mutig.»
Amalia hat irgendwie das Gefühl, Sir Butterworth betrachte das Ganze als einen Scherz. Noch nie hat sie den Eindruck gehabt, die Engländer würden sich wirklich Gedanken machen über das Wohl der lokalen Bevölkerung. Sir Butterworth scheint ein typischer Vertreter zu sein. Aber eine andere Sache beschäftigt sie noch mehr: die Bemerkung von Duncan, dass ihr Personal etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Das schien ihr zuerst so weit hergeholt, dass sie es gar nie in Betracht gezogen hat. Aber jetzt? Plötzlich denkt sie, dass das ja viel, viel schlimmer wäre, wenn eine vom Haus … Heiss und kalt läuft es ihr den Rücken hinunter. Und wenn wirklich? Sie macht kurz das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen. In Gedanken geht sie nochmals die letzten Tage durch. Dann geht die Tür auf, und Kamil betritt mit Vreni das Befragungsbüro.
17. Einheimische Perspektive
«So, Vreni, jetzt kannst du auch einmal eine Aussage machen.»
Kamil spaziert mit Vreni herein, zieht ein Taburett unter dem Tisch hervor und bedeutet ihr, sich zu setzen.
«Sodeli,
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