Endstation für neun
entsteht. Das Wort Antiheld bekommt mit Maj Sjöwalls und Per Wahlöös Büchern eine neue Färbung. Wenn Martin Beck endlich auf der Couch im Wohnzimmer einschläft, ärgert sich der Leser immer noch über Becks Frau Inga. Wir regen uns über Gunvald Larssons Bulldozergebaren auf. Aber in Endstation für neun steht vor allem Lennart Kollberg im Mittelpunkt. In dieser Geschichte entpuppt er sich als Erotiker und Hedonist im Körper eines Ermittlers. Die Sicht des Romans auf Sexualität und insbesondere die weibliche Sexualität klingt wie ein charmantes Echo aus den freizügigen sechziger Jahren, vor allem die Szene, in der Lennart heim zu seiner Frau geht, um sich gegen Asa Torell impfen zu lassen.
Die Handlung folgt klassischen Mustern, beispielsweise, wenn etwas aus der Vergangenheit auftaucht und Bedeutung für die Ermittlungen in der Gegenwart bekommt, oder der Trick, dass sich eine Person unter den Opfern im Bus nicht sofort identifizieren lässt. Gerade auf diesem Feld brillieren Sjöwall und Wahlöö. Sie bedienen sich klassischer Tricks - aber am Ende haben sie ihren eigenen selbständigen und spannenden Thriller verfasst. Besonders elegant ist der Kunstgriff, mit dem das Verhältnis zwischen Polizei und Handlung etabliert wird. Vordergründig steht für Martin Beck und die anderen nur wenig auf dem Spiel. So ist das im Polizeiroman. Der Polizist ist die offiziell autorisierte Hauptperson, die von außen kommt und dafür bezahlt wird, dass sie ihren Job macht, das Rätsel löst. Aber unter den Ermordeten in diesem Stockholmer Bus befindet sich Äke Stenström - ein Polizist. Damit ist die Polizei in den Fall verstrickt; einer aus den eigenen Reihen ist von einem unbekannten Täter brutal erschossen worden. Folglich steht viel auf dem Spiel - und gleichzeitig werden der Handlung mehrere Rätsel hinzugefügt.
Verglichen mit anderen Büchern der Autoren, liegt eine Stärke von Endstation für neun darin begründet, dass so viele verschiedene Polizisten an der Aufklärung beteiligt sind. Unter den Büchern Maj Sjöwalls und Per Wahlöös ist dies der wahre Kollektivroman. Zwar stehen auch hier Beck, Kollberg und Larsson im Mittelpunkt, aber auch Nebenfiguren wie Rönn, Melander, Mänsson und Nordin bekommen reichlich Raum, um sich zu entfalten. Sie gehen dem Leser unter die Haut, und wir gönnen es Rönn und Mänsson von ganzem Herzen, mit ihren Initiativen Erfolg zu haben. Damit wird der Leser am gesamten Register der Ermittlungen beteiligt, von der Interpretation von Tonbandaufnahmen und dem Anzweifeln der Beobachtungsgabe eines Zeugen bis zur Ergreifung des Täters.
Endstation für neun ist ein Klassiker, nicht nur der schwedischen, sondern auch der internationalen Kriminalliteratur. Der Grund dafür ist schlicht, dass er das Beste von den Besten enthält, während er gleichzeitig auf seine Art Neuland betritt. Der Massenmord im Bus ist eine brutale, aber zugleich glaubwürdige Szene aus einem modernen und komplexen Skandinavien - das in den sechziger und siebziger Jahren, nach wachsender Industrialisierung und dem Zustrom von Arbeitssuchenden, plötzlich zu einem integrierten Teil einer unvorhersehbaren und gewalttätigen Welt geworden war.
Das gleiche Exemplar, das ich als Vierzehnjähriger gelesen habe, steht noch heute in meinem Regal. Es ist so zerlesen, dass es fast auseinanderfällt - wie gute Krimis eben aussehen, wenn sie einige Jahre auf dem Buckel haben.
Wie andere skandinavische Krimiautoren bin ich Maj Sjöwall und Per Wahlöö zu Dank verpflichtet. Als ich das Buch zum ersten Mal las, erhielt ich den Beweis für zwei Dinge:
Gute Krimis sind gute Literatur. Außerdem war es möglich, gute Krimis in Schweden zu schreiben. Und Letzteres ließ mich glauben, dass sich so etwas auch in Norwegen bewerkstelligen lassen würde.
Endstation für neun
1
Am Abend des 13. November regnete es Bindfäden in Stockholm. Martin Beck und Kollberg saßen, in eine Schachpartie vertieft, in Kollbergs Wohnung unweit der U-Bahn-Station Skärmarbrink am südlichen Stadtrand. Beide hatten gewissermaßen frei, da sich in den letzten Tagen nichts Nennenswertes ereignet hatte.
Martin Beck war ein lausiger Schachspieler, spielte aber trotzdem. Kollberg hatte eine Tochter, die etwas mehr als zwei Monate alt war. An diesem Abend musste er den Babysitter spielen, und Martin Beck verspürte seinerseits keine große Lust, früher nach Hause zu gehen als unbedingt nötig. Das Wetter war grauenhaft. Regenvorhänge trieben
Weitere Kostenlose Bücher