Endstation für neun
Vorwort
Kjell Ola Dahl
Schriftsteller sind gute Lügner und noch bessere Diebe. Und wir haben alle unsere Vorbilder.
Ein gutes Buch entsteht niemals aus dem Nichts. Es wächst langsam und ist zu gleichen Teilen von Begeisterung und Protest gefärbt. Raymond Chandler hat einmal über Dashiell Hammett gesagt, er habe den Mord aus den Teesalons geholt und auf die Straße geworfen, wo er hingehört. Hammett veränderte das Genre des Kriminalromans, machte es realistischer als das versnobte britische Rätselmysterium für Menschen in einer anderen Zeit und Welt. Aber er bewahrte einzelne grundlegende Elemente: einen rätselhaften Mord, der die Handlung vorantreibt, Charaktere, an die sich der Leser auch nach Ende der Lektüre noch erinnert - und fügte von sich aus hinzu: eine harte und präzise Sprache, exotische Milieus, die dennoch immer so nah blieben, dass sie Seiten in der Wirklichkeit des Lesers spiegelten. Ein guter Kriminalroman ist nicht wahr. Der Mord ist nicht geschehen. Aber er hätte geschehen können. Als ich Endstation für neun zum ersten Mal las, erkannte ich sofort, dass ich ein Buch von zwei Autoren las, die das Genre erneut veränderten, die den Kriminalroman noch realistischer machten als die Monologe cooler amerikanischer Privatdetektive. Diese phantastische Geschichte spielte immerhin in Schweden, in Stockholm, Skandinavien. Es hätte also auch Oslo, Norwegen, sein können. In dem Bus, der an dem Häuserblock vorbeibrauste, in dem ich wohnte, hätten neun Menschen durch Schüsse getötet werden können - und Martin Becks Tochter hätte ein Mädchen in meiner eigenen Schulklasse sein können -, eine von denen, die in Mietshäusern wohnten und Eltern hatten, um deren Ehe es nicht zum Besten stand.
Das war 1972. Ich war vierzehn. Endstation für neun war meine erste Begegnung mit Martin Beck und seinen Kollegen von der Stockholmer Polizei. Ich fand das Buch im Bücherregal meines Vaters. Als Krimileser schwärmte ich damals für Romane amerikanischer Spielart: Chandler, Hammett, Ross MacDonald, Jim Thompson, James M. Cain und Len Deighton. Deshalb war mir dieses Buch entgangen. Zum einen machte es einen etwas seltsamen Eindruck, dass ein Roman von zwei Personen geschrieben wurde. Außerdem waren sie Schweden. Wie man sich irren kann. Aber man weiß eben nie, wo sich der Schatz verbirgt, bevor man die Kiste öffnet.
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, durchforstete ich unverzüglich die Regale auf der Suche nach weiteren Büchern von Sjöwall und Wahlöö. Die Lektüre wurde zu einer Reise in ein einzigartiges literarisches Universum mit Mysterien, Spannung, einmaligen und unvergesslichen Charakteren wie Martin, Gunvald und Lennart - und nicht zuletzt einer soliden Portion Humor. Und etwas von der Freude daran, Endstation für neun zu lesen, lag in diesem Wiedererkennen - der Einführung in das »Polizeikollektiv«, also die Bekanntschaft mit mehreren Charakteren mit ganz verschiedenen und spannenden Charakterzügen.
Maj Sjöwall und Per Wahlöö schrieben zehn Bücher über Martin Beck und die Männer der Stockholmer Polizei. Aber Endstation für neun ist in meinen Augen etwas ganz Besonderes. Das Buch berührte Leser in aller Welt, und zwar so stark, dass die Autoren 1971 für den Roman The Edgar Award bekamen -die Auszeichnung für den besten in den USA veröffentlichten Kriminalroman! Zwei Jahre später spielte Walter Matthau die Rolle des Sergeant Martin in dem Hollywoodfilm Massenmord in San Francisco. Nun, der Erfolg des Buchs ist eine Sache. Eine andere ist die Rolle der Autoren als Pioniere. Maj Sjöwall und Per Wahlöö eroberten mit diesem Roman ein Feld, auf dem man Autoren aus kleinen Ländern und Sprachen bis dahin nicht wahrgenommen hatte. Endstation für neun war der erste wirklich große Kriminalroman aus Skandinavien. Mit diesem Buch eroberten Sjöwall und Wahlöö die Welt, während sie gleichzeitig neue Generationen von Autoren - wie mich selbst - inspirierten und die Grundlage für sie schufen.
Für mich geht es bei Literatur immer um das persönliche Erlebnis - es ist entweder gut oder nicht so gut. Damit reduziert sich alles auf die Frage, was für das Erlebnis entscheidend ist. Was macht Endstation für neun also zu einem Buch, das ich noch heute, mehr als dreißig Jahre nachdem ich es zum ersten Mal gelesen habe, mit Vergnügen wiederlesen kann? Die Antwort findet sich zu einem großen Teil in der Intimität, die zwischen den Charakteren der Polizisten und dem Leser
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