Endstation Venedig
Erstaunen bemerkte, setzte er hinzu: Der Wein natürlich. Ich fürchte, wir haben nicht das richtige Lokal gewählt.
Nein, besonders gut ist er wirklich nicht , stimmte Brunetti ihm zu und stellte sein leeres Glas neben Viscardis.
Ich wiederhole, Commissario, daß Erkundigungen über meine Geschäfte eingeholt wurden. So etwas kann nicht gut ausgehen. Es tut mir leid, aber jedes weitere Eindringen in meine Privatange-legenheiten würde mich zwingen, die Hilfe bestimmter Freunde in Anspruch zu nehmen.
Und was sind das für Freunde, Signor Viscardi?
Es wäre vermessen, ihre Namen zu nennen. Aber sie sitzen weit genug oben, um dafür zu sorgen, daß ich nicht weiter von Bürokraten verfolgt werde. Sollte das der Fall sein, werden sie ganz gewiß einschreiten und dem ein Ende machen.
Das klingt sehr nach einer Drohung, Signor Viscardi.
Übertreiben Sie nicht, Dottor Brunetti. Nennen wir es lieber einen guten Rat. Es ist außerdem ein Rat, dem Ihr Schwiegervater voll zustimmt. Ich weiß, daß ich auch für ihn spreche, wenn ich sage, daß Sie gut beraten wären, solche Fragen nicht zu stellen. Und ich wiederhole, daß es für den, der sie stellt, nicht gut ausgeht.
Ich glaube kaum, daß ich von irgend etwas, was mit Ihren Geschäften zu tun hat, überhaupt Gutes erwarten würde, Signor Viscardi.
Viscardi zog unvermittelt einige lose Scheine aus der Tasche und warf sie auf den Tresen, ohne erst zu fragen, was der Wein kostete.
Ohne ein weiteres Wort zu Brunetti drehte er sich um und verließ die Bar. Brunetti folgte ihm. Draußen hatte es zu regnen begonnen, der typische windgepeitschte Herbstregen. Viscardi blieb an der Tür stehen, aber nur so lange, bis er seinen Mantelkragen hochgeschlagen hatte. Ohne noch etwas zu sagen oder sich auch nur noch einmal umzudrehen, trat er in den Regen und verschwand eilig um eine Ecke.
Brunetti blieb noch einen Moment in der Tür stehen. Schließ-
lich sah er keine andere Möglichkeit und wickelte La Repubblica von seinem Schirm. Dann faltete er die Zeitung zu einem tragbaren Format zusammen und trat in den Regen. Er drückte auf den Knopf, der den Schirm aufspannte, und betrachtete das Plastikdach über sich. Elefanten, fröhliche, tanzende, pinkfarbene Elefanten. Mit dem Geschmack des sauren Weines im Mund eilte er nach Hause zum Mittagessen.
24
Am Nachmittag ging Brunetti in die Questura zurück, nicht ohne vorher seinen schwarzen Regenschirm von Chiara zurückzuverlan-gen. Eine Stunde lang erledigte er Korrespondenz, dann erklärte er, eine Verabredung zu haben, und ging früh weg, obwohl es bis zu seiner Verabredung mit Ruffolo noch gut sechs Stunden waren. Als er nach Hause kam, erzählte er Paola von dem geplanten mitternächtlichen Treffen, und da sie sich an seine früheren Erzählungen von Ruffolo erinnerte, meinte auch sie, man könne das Ganze als Jux betrachten, einen melodramatischen Einfall, der sicher auf Ruffolos erhöhten Fernsehkonsum bei seinem letzten Gefängnisaufenthalt zurückzuführen war. Brunetti hatte Ruffolo nicht mehr gesehen, seit er damals gegen ihn ausgesagt hatte, und konnte sich nicht vorstellen, daß er sich sehr verändert hatte: gutmütig, segelohrig und unbekümmert, immer viel zu ungeduldig, endlich das Geschäft seines Lebens zu machen.
Um elf Uhr trat er auf die Dachterrasse hinaus, schaute zum Himmel hoch und sah die Sterne. Eine halbe Stunde später verließ er das Haus, nachdem er Paola versichert hatte, daß er wahrscheinlich gegen eins zurück sein werde, und sie gebeten hatte, nicht auf ihn zu warten. Falls Ruffolo sich stellte, müßten sie zur Questura, wo seine Aussage aufgenommen und von ihm unterschrieben werden mußte, und das könne Stunden dauern. Brunetti sagte, wenn es dazu komme, werde er versuchen, sie anzurufen, aber er wußte, daß sie sich daran gewöhnt hatte, ihn zu den merkwürdigsten Zeiten unterwegs zu wissen, und wahrscheinlich seinen Anruf verschlafen würde. Und die Kinder wollte er nicht wecken.
Die Bootslinie Nummer fünf stellte um neun Uhr den Verkehr ein, also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen. Es störte ihn nicht, schon gar nicht in dieser herrlich klaren Mondnacht.
Wie so oft überlegte er nicht weiter, welchen Weg er nahm, sondern überließ es seinen durch jahrzehntelange Übung geschulten Füßen, ihn auf dem kürzesten Weg ans Ziel zu bringen. Er überquerte die Rialto-Brücke, ging über den Campo Santa Marina und auf San Francesco della Vigna zu. Wie immer um diese
Weitere Kostenlose Bücher