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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaya
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Uhrzeit wirkte die Stadt praktisch menschenleer; er begegnete einem Wachmann, der kleine orangefarbene Coupons zwischen die Gitter vor den Läden steckte, um zu dokumentieren, daß er in der Nacht dagewesen war.
    Als er an einem Restaurant vorbeikam, warf Brunetti einen Blick hinein und sah drinnen die Angestellten in ihren weißen Jacketts um einen Tisch sitzen und ein letztes Glas Wein trinken, bevor sie nach Hause gingen. Und Katzen. Sie saßen, lagen überall und schlichen auf leisen Pfoten um die Brunnen. Jagen war für diese Katzen kein Thema, obwohl es Ratten genug gab. Sie beachteten ihn nicht; sie wußten genau, wann die Leute vorbeikamen, die sie fütterten, und dieser Fremde gehörte gewiß nicht dazu.
    Er ging rechts an der Kirche San Francesco della Vigna vorbei und dann nach links, um zum Vaporetto-Anleger Celestia zurückzu-gehen. Vor sich sah er deutlich den Steg mit seinem Metallgeländer und den Stufen, die hinaufführten. Er stieg hoch und blickte am Anfang des Steges nach vorn zu der Brücke, die sich wie ein Ka-melhöcker über dem Durchlaß in der Arsenalemauer wölbte, der das Fünferboot auf dem Canal quer durch die Insel zum Bacino di San Marco führte.
    Die Brücke war leer, so viel war zu erkennen. Nicht einmal Ruffolo wäre so dämlich, sich für jedes vorbeifahrende Boot sichtbar hinzustellen, schon gar nicht, wenn die Polizei ihn suchte. Wahrscheinlich war er auf den schmalen Strandstreifen jenseits der Brücke hinun-tergesprungen. Brunetti ging auf die Brücke zu, wobei er sich einen Anflug von Ärger darüber gestattete, daß er hier in der nächtlichen Kühle herumlief, während jeder vernünftige Mensch zu Hause im Bett lag. Warum mußte dieser verrückte Ruffolo nur unbedingt eine wichtige Persönlichkeit treffen wollen? Wenn er das wollte, sollte er doch in die Questura kommen und mit Patta reden.
    Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf den ersten der kleinen Strände, nur ein paar Meter lang, und hielt Ausschau nach Ruffolo.
    Im silbrigen Licht des Mondes sah er, daß dort keine Menschenseele war, nur Bruchstücke von Backsteinen und Flaschenreste, überzogen mit schleimigem grünem Seetang. Signorino Ruffolo war auf dem Holzweg, wenn er glaubte, Brunetti würde da runterspringen, um ein Schwätzchen mit ihm zu halten. Er hatte in dieser Woche schon ein Paar Schuhe wegwerfen müssen, das passierte ihm nicht noch einmal.
    Wenn Ruffolo reden wollte, konnte er auf den Steg kommen, oder er blieb unten und sprach laut genug, daß Brunetti ihn verstehen konnte.
    Er ging auf seiner Seite der Betonbrücke die Stufen hinauf, blieb oben einen Augenblick stehen und ging auf der anderen Seite wieder hinunter. Vor sich sah er den kleinen Strand liegen, halb verdeckt durch eine Vorwölbung der massiven Backsteinmauer des Arsenale, das rechts von Brunetti zehn Meter hoch aufragte.
    Ein paar Schritte vor der Insel blieb er stehen und rief leise: Ruffolo, ich bin’s, Brunetti.
    Keine Antwort.
    Peppino, hier ist
    Brunetti.
    Noch immer keine Antwort. Das Mondlicht war so hell, daß es scharfe Schatten warf, die den unter dem Steg liegenden Teil der kleinen Insel verdunkelten. Aber der Fuß war zu sehen, ein Fuß in einem braunen Lederschuh, und darüber ein Bein. Brunetti beugte sich übers Geländer, sah aber nur den Fuß und das Bein, dessen oberer Teil im Schatten unter dem Steg verschwand. Er kletterte übers Geländer, ließ sich auf die Steine darunter fallen, rutschte auf dem Seetang aus und fing seinen Fall mit beiden Händen ab. Als er wieder stand, sah er den Körper besser, obwohl Kopf und Schultern noch im Schatten waren. Aber das spielte keine Rolle; er wußte, wer es war. Ein Arm lag vom Körper abgestreckt, die Hand fast am Wasser, das mit winzigen Wellen zart daran leckte. Der andere Arm war unter dem Körper eingeklemmt. Brunetti beugte sich vor und befühlte das Handgelenk, fand aber keinen Puls. Die Haut war kalt und feucht vom Dunst, der von der Lagune aufstieg. Er trat einen Schritt näher, schlüpfte in den Schatten und legte dem Jungen die Hand an den Hals. Kein Puls.
    Als Brunetti ins Mondlicht zurücktrat, sah er, daß seine Finger blutig waren. Er hockte sich hin und wusch seine Hand im Wasser der Lagune, einem Wasser, das so verdreckt war, daß schon der Gedanke daran ihn normalerweise anekelte.
    Er richtete sich auf, trocknete sich die Hand an seinem Taschentuch ab, holte eine kleine Taschenlampe hervor und kroch wieder unter den Steg. Das Blut stammte aus einer großen

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