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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaya
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könne, und als er sie so sah, wunderte er sich nur, wie albern doch Erwachsene sein konnten.

    23
    Weder an diesem noch am folgenden Abend meldete Ambrogiani sich, und Brunetti mußte gegen die ständige Versuchung ankämpfen, beim amerikanischen Stützpunkt anzurufen, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Er rief Fosco in Mailand an, aber da war nur der Anrufbeantworter. Obwohl er sich ganz schön dämlich vorkam, mit einer Maschine sprechen zu müssen, teilte er Riccardo mit, was Ambrogiani ihm über Gamberetto erzählt hatte, und bat ihn, über den Mann so viel herauszufinden, wie er konnte, und dann zurückzu-rufen. Weiter fiel ihm nichts ein, was er noch hätte tun können, und so las und kommentierte er Personalbeurteilungen und ging die Zeitungen durch, ständig abgelenkt vom Gedanken an das nächtliche Treffen mit Ruffolo.
    Er wollte gerade zum Mittagessen nach Hause gehen, als die Gegensprechanlage summte.
    Ja, Vice-Questore?
    antwortete er auto-
    matisch, viel zu sehr mit den Gedanken woanders, um sich an dem Augenblick des Unbehagens zu freuen, das Patta jedesmal empfand, wenn man ihn schon erkannte, bevor er sich meldete.
    Brunetti , begann er,
    würden Sie wohl mal kurz zu mir her-
    unterkommen?
    Gleich, Vice-Questore , antwortete Brunetti, während er sich die nächste Beurteilung vornahm, sie aufschlug und zu lesen anfing.
    Ich möchte, daß Sie jetzt kommen, Commissario, nicht gleich , erwiderte Patta mit einer Strenge, die Brunetti verriet, daß jemand bei ihm im Büro sein mußte, jemand Bedeutendes.
    Ja natürlich. Ich bin schon unterwegs , sagte er und legte das Blatt quer, das er gerade las, um die Stelle bei seiner Rückkehr besser wiederzufinden. Nach dem Essen, dachte er und trat ans Fenster, um festzustellen, ob es immer noch nach Regen aussah. Der Himmel über San Lorenzo war grau und unheilschwanger, und der Wind zauste kräftig an den Blättern der Bäume auf dem kleinen Campo. Er ging zum Schrank und suchte nach einem Regenschirm; heute morgen hatte er nicht daran gedacht, einen mitzunehmen. Im Schrank herrschte das übliche Durcheinander: ein einzelner gelber Gummistiefel, eine Einkaufstasche voll alter Zeitungen, zwei große wattierte Umschläge und ein pinkfarbener Regenschirm. Pink! Chiara hatte ihn vor Monaten einmal hier vergessen. Wenn er sich nicht irrte, waren große, lustige Elefanten darauf, aber er wollte ihn nicht aufspannen, um sich zu vergewissern. Pink war schlimm genug. Er suchte weiter, fand aber keinen zweiten Schirm.
    Schließlich nahm er den pinkfarbenen und ging damit an seinen Schreibtisch. Wenn er La Repubblica der Länge nach zusammenroll-te, konnte er den Schirm fast ganz darin einwickeln, so daß nur die Krücke und eine Handbreit von dem Stoff zu sehen wären. Das tat er, betrachtete zufrieden sein Werk, verließ sein Zimmer und ging die Treppe hinunter zu Patta. Er klopfte, wartete, bis er sicher war, daß sein Vorgesetzter
    Avanti
    gerufen hatte, und trat ein.
    Wenn Brunetti zu ihm kam, saß Patta meist hinter seinem Schreibtisch –
    thronte
    war das Wort, das einem dabei am ehe-
    sten einfiel –, doch heute hatte er einen kleineren Sessel vor seinem Schreibtisch gewählt, rechts neben einem dunkelhaarigen Mann, der lässig mit übereinandergeschlagenen Beinen dasaß und eine Hand, die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger, über die Armlehne seines Sessels baumeln ließ. Keiner der beiden Männer stand auf, als Brunetti hereinkam, allerdings stellte der Besucher die Beine nebeneinander und beugte sich vor, um seine Zigarette in dem Ma-lachitaschenbecher auszudrücken.
    Ah, Brunetti , sagte Patta. Hatte er jemand anderen erwartet?
    Er deutete auf den Mann neben sich.
    Das ist Signor Viscardi. Er
    ist gerade für einen Tag hier in Venedig und kam vorbei, um mir eine Einladung zum Galadiner im Palazzo Pisani Moretta nächste Woche zu bringen. Ich habe ihn gebeten, noch kurz hierzubleiben, weil ich dachte, er würde vielleicht gern ein paar Worte mit Ihnen reden.
    Viscardi erhob sich und trat mit ausgestreckter Hand auf Brunetti zu.
    Ich möchte Ihnen für die Mühe danken, Commissario, die Sie sich in meiner Sache geben.
    Wie Rossi bemerkt hatte, sprach
    der Mann eindeutig mit Mailänder Zungenschlag, wobei die R ihm unausgesprochen von der Zunge rutschten. Er war groß, hatte dun-kelbraune Augen – sanfte, friedliche Augen – und ein entspanntes Lächeln. Die Haut unter dem linken Auge war etwas verfärbt und offenbar übertüncht, vielleicht mit

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