Engelsasche
Nach ihrem Abschluss an der University of Houston hatte sie einen Teilzeitjob als Assistentin bei Roger Weller ergattert, einem namhaften texanischen Fotografen. Ein Job, der ihr unschätzbare Erfahrungen in diesem Metier gebracht hatte und außerdem genug Zeit, um all die Landschaftsaufnahmen machen zu können, die zu ihrem Markenzeichen geworden waren.
Weller hatte ihr zu ihrer ersten Ausstellung in einer Galerie verholfen, die erstaunlich gute Resonanz erhalten hatte. Mehrere Ausstellungen folgten, und ihre Käufergruppe erweiterte sich. Inzwischen hingen ihre Fotos in einigen der angesehensten Galerien von Houston, Dallas und Austin.
In Gedanken an die bevorstehende Ausstellung in der Twin Oaks Gallery und die Aufnahmen, die sie dafür an diesem Nachmittag machen wollte, blieb Maggie ruckartig vor ihrem Wagen stehen. Mit klopfendem Herzen trat sie einen Schritt vor, stellte ihre Kameratasche ab und griff mit zittrigen Fingern nach dem Zettel, der unter dem Scheibenwischer ihrer Windschutzscheibe klemmte. Vorsichtig zog sie den Zettel darunter hervor und las die Nachricht.
Meine werte Maggie,
wie lange wird es dauern, bis sich unsere Vorsehung erfüllt? Wann begreifst du, dass mein Schicksal mit deinem eng verbunden ist und ich der Einzige bin, der dir den Frieden schenken kann, nach dem du dich sehnst?
Maggie sah sich hektisch um. Nur zwei Wagen parkten vor den erst kürzlich fertiggestellten Stadthäusern, von denen sie eins bewohnte. Ein Toyota Camry und ein Chevy Camaro. Beide Autos waren verlassen. Der Wind wehte durch die Blätter der frisch gepflanzten Sträucher vor den Blumenbeeten im Eingangsbereich, ein paar Teenager kamen mit ihren Fahrrädern angefahren. Nirgends jemand, der eine solche Nachricht hätte hinterlegen können.
Sie starrte auf das ausgerissene Stück rauen, braunen Papiers, das den anderen beiden glich, die sie bereits erhalten hatte. Sie hatte gehofft, dass derjenige, der ihr diese beunruhigenden Nachrichten zukommen ließ, sich nach ihrem Umzug in ihr Haus vor zwei Wochen nicht mehr meldete.
Sie hängte sich die Kameratasche wieder über die Schulter und hielt den Zettel vorsichtig zwischen zwei Finger geklemmt, für den Fall, dass der Unbekannte Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Erneut blickte sie sich auf dem Parkplatz um, ob sie irgendjemanden entdeckte, der nicht dorthin gehörte. Doch da war niemand.
Maggie beeilte sich mit einem flauen Gefühl im Magen und dem Papier in den zittrigen Fingern, zurück ins Haus zu kommen. Sie stellte die Kameratasche wieder auf dem Boden ab, schloss die Eingangstür und lehnte sich dagegen. Nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte, öffnete sie ihre Handtasche, zog ihr Handy heraus und rief ihre beste Freundin an.
Mit jedem Klingelton wurde sie nervöser.
Endlich meldete sich Roxanne.
„Roxy? Rox, hier ist Maggie. Ich … ich habe schon wieder eine Nachricht bekommen. Sie klemmte unter dem Scheibenwischer.“
Ihre Freundin fluchte leise. „Wo bist du?“
„Ich bin wieder ins Haus zurück. Vorher habe ich mich auf dem Parkplatz umgesehen. Aber da war keiner.“
„Hör zu, Maggie. Du musst die Nachricht zur Polizei bringen. Wie war der Name des Lieutenants noch mal, mit dem wir gesprochen hatten?“
„Bryson. Aber er wird mir nicht helfen. Er glaubt mir nicht. Und das hier wird daran auch nichts ändern.“
„Könnte aber. Du hast den Zettel und die anderen beiden von vorher.“
„Den ersten habe ich nicht mehr. Ich dachte, das wäre nur ein blöder Scherz.“
Aber es war letztlich egal, ob sie die Zettel als Beweis hatte. Es ging nicht darum, ob die Polizei ihr glaubte. Die Cops bestraften sie für etwas, das sie vor Jahren getan hatte.
Etwas, dessen sie tatsächlich schuldig gewesen war.
„Ich gehe da nicht mehr hin“, sagte sie. „Ich lasse mich nicht noch einmal so demütigen.“
Eine lange Pause entstand. Roxanne war eine der wenigen Personen, die wussten, dass Maggie als Teenager einen Quarterback von der Schule fälschlich der Vergewaltigung beschuldigt hatte.
Mit sechzehn war sie dumm und verantwortungslos gewesen. Tatsache war, dass sie in jener Nacht Sex mit Josh Varner gehabt hatte. Aber es war definitiv keine Vergewaltigung gewesen. Sie hatte den gut aussehenden Footballer ermuntert und sich keinesfalls gewehrt. Doch sie hatte Angst vor der Reaktion ihres Vaters gehabt, wenn der es herausgefunden hätte.
„Okay“, sagte Roxanne schließlich. „Wenn du nicht zur Polizei gehen willst, dann sprich
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