Engelsberg
bereits ein Liebespaar.
Geräuschlos wie ein Schatten, in der für sie schon typischen Art, war Doña Josefa zur Wohnstube gehuscht und hatte den schmucken Burschen erkannt. Es war Leonardo Gamboa, der Sohn Don Cándidos: Cecilias Bruder. Er war es, der ihr den Hof machte. Und er war der Mann, den Cecilia liebte, und zwar nicht wie einen Bruder.
Kein Zweifel, es ist ein Fluch oder ein böser Streich, dachte die Großmutter, als sie sich in ihr Zimmer flüchtete und die vom Flammenschwert durchbohrte Muttergottes anschaute, die im Licht einer Kerze in ihrer Andachtsnische schimmerte. Cecilia Valdés’ Herkunft war so geheim gehalten worden, dass sich, ohne dass er es wusste, ausgerechnet ihr eigener Bruder in sie verliebt hatte. Und sie sich in ihn. Das war das Schlimmste.
Was würde Don Cándido sagen, wenn er es erführe? Denn früher oder später wüsste er davon. Womöglich würde er befehlen, seine Tochter zu töten, zumindest aber sie aus der Stadt vertreiben; ihr würde er die Unterstützung entziehen, und sie würden beide verhungern.
War es schließlich – dachte Doña Josefa weiter – nicht logisch, dass sich Cecilia einen weißen Mann suchte? Was für eine Zukunft erwartete sie denn, wenn sie in einem Sklavenland einen Mulatten oder einen Neger heiratete? Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Schneiderin oder Köchin. Wenn überhaupt. Sie war schon achtzehn Jahre alt. Niemand konnte beim ersten Hinschauen denken, dass sie schwarzrassig war. Vielleicht würde sie sogar einen weißen Mann heiraten können, Kinder haben. Um ihr nicht zu schaden, würde sie, die Großmutter, sie nie wiedersehen. Was Rosario Alarcón anging, nach den Worten der Nonnen vom Frauenhaus eine bedauernswerte Geisteskranke, so würde sie sich niemals um ihre Tochter kümmern. Cecilias Vergangenheit bestand nur aus einer halbmondförmigen Narbe, die Doña Josefa ihr eingeritzt hatte, um sie unter den vielen Kindern namenloser Väter im Findelhaus wiederzuerkennen.
Wenn es Cecilias Schicksal – und Wunsch – war, mit einem weißen Mann zu leben, durfte dieser Mann natürlich nicht ihr eigener Bruder sein, sagte sich Doña Josefa und beschloss, trotz allem, unverzüglich Don Cándido Gamboa aufzusuchen, um zu sehen, wie sie dieser Angelegenheit, ohne schlimmere Folgen und ohne dass Doña Rosa davon erführe, ein Ende machen könnten.
Kapitel 5 Doña Rosa
Doña Rosa Sandoval y de Gamboa war als gute Ehefrau eifersüchtig und misstrauisch. Daher glaubte sie von Anbeginn nicht den Worten ihres Gatten Don Cándido Gamboa, wenn dieser, um die Nächte außer Haus zu verbringen, eine dringende Versammlung mit Plantagenbesitzern oder Sklavenhändlern vorschob. Mit viel Geschick fädelte sie es ein, dass der Sklave Dionisios, der als Chefkoch arbeitete (und zu dem sie verhältnismäßig großes Vertrauen hatte), in mancherlei aufwendiger Verkleidung ihrem Manne nachspionierte.
Das Ergebnis dieser Nachforschungen ließ nicht lange auf sich warten:
»Der Herr hat ne Liebschaft mit ner bildschöne Mulattin. Se wohnt inner Gasse San Juan de Dios und hat ihm grad n Mulattentöchtel geborn, wirklich n Goldkind. Bei meine Seel, wenn Se diss sehn tätn. Schaut genauso aus wie Ihr Töchtel Adela!«
»Da hat also Don Cándido eine Tochter mit einer Negerin …«
»Mit ner Negerin nich, Señora, ner Mulattin.«
»Das ist dasselbe, Dummkopf!«, unterbrach ihn Doña Rosa, ließ ihre Augen nicht ab von ihrem schwarzen Koch und befahl ihm: »Mach die Tür zu und zieh dich auf der Stelle aus!«
»Aber Herrin! Was hab ich bös getan? Hab nur Ihre Befehle gehorcht, und was ich sag, is de Wahrheit. Warum wolln Se mir de Peitsche gehm?«
»Niemand wird dir die Peitsche geben, Dionisios«, erwiderte Doña Rosa. »Ich habe dir lediglich befohlen, dich auszuziehen.«
Noch ängstlich zog sich Dionisios die weiten, abgetragenen Hanfhosen aus und rechnete damit, dass jeden Moment der Ochsenziemer auf seinen Rücken klatschte. Doch Doña Rosa, anstatt ihn zu schlagen, trat an ihn heran und nahm sachkundig seinen Körper in Augenschein. Sie prüfte Lymphknoten, Knie, Handflächen und Fußsohlen, ließ ihn die Zunge herausstrecken und wog mehrere Male in der Hand Glied und Hoden ab.
»Ich hoffe«, sagte sie am Schluss ihrer gründlichen Erkundung, »du hast keine dieser ansteckenden Krankheiten der Barackenneger.«
»Ich hatt nix und hab nix, Señora. Außer Schwazze Blattern, die mir übel zurichteten, als se mich aus Großguinea holtn.«
»Gut.
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