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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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Engländer nach Florida vertreiben ließ, du bist schlau, scheinheilig, ehrgeizig, verräterisch, gottlos, exhibitionistisch, gemein, intrigant und grausam. Neben anderen überragenden Tugenden sind sie es, die mich auf dich aufmerksam werden ließen. Darum, und nicht zufällig, wird das Bistum Havanna, eines der vermögendsten der Neuen Welt, dir anvertraut werden; und darum habe ich dich rufen lassen, um mir die Beichte abzunehmen, die sich eben um das Thema dreht, das dich so sehr beschäftigt: der leidenschaftliche, fanatische Glaube dieses sittenlosen Volkes an einen schönen Engel … Schon als junger Mann, als ich die Kirchenväter las, verstand ich, dass auf dem Gebiet der Erscheinungen diejenigen am ehesten geglaubt werden, die am unwahrscheinlichsten und vor allem am angenehmsten sind. Bei meinem Feldzug mit dem Ziel, an dieser Stelle den Friedhof anzulegen, der heute meinen Namen trägt, damit die Toten nicht länger in der Kathedrale von Havanna bestattet werden, wo nicht einer mehr hineinpasste, wo die Leichname die ganze Bevölkerung ansteckten und wo vor allem keine Almosen und kein Zehnt für jede bestattete Seele zu holen war, habe ich daher das Gerücht ausgestreut, dieser Ort sei heilig und stünde unter der Obhut eines Schutzengels. Doch sogar die frommsten Frauen lachten darüber nur. Da beschloss ich, ihnen einen überzeugenden Beweis zu liefern. Ich verkleidete mich als Engel und fing an, nachts durch die Türme und Balkone der Kirche zu wandeln. Meine Anwesenheit versetzte die Damen in Verzückung, und sie begannen, die Mumien und Skelette hierher in die Engelskirche zu überführen. Der Ruhm des Engels wurde so groß, dass er sich nicht mehr auf die engen Gemäuer der Kirche begrenzen ließ. In meiner himmlischen Ausstattung geisterte ich sodann fast jede Nacht durch die Stadt und erschien viele Male auf den Balkonen der schönsten und vermögendsten frommen Frauen. Ich muss dir nicht sagen, mit welch Gehorsam und Ergebenheit eine schöne Dame einen Engel empfängt, der um Mitternacht in ihren Alkoven einfällt. Ja, Bruder, engelsgleich habe ich fast alle Frauen dieser Stadt besessen und – oh, es wäre für mich höchst gefährlich, dir das zu beichten, wenn ich nicht jeden Moment meinen letzten Seufzer tun würde – auch zahllose illustre und hoch angesehene Männer, die ebenfalls nicht ohne diesen Trost bleiben wollten … Natürlich mussten viele der feinen Damen hinterher meinen Beistand in Anspruch nehmen, damit ich ihnen über den Frevel hinweghalf, den der Engel in ihrem Bauch angerichtet hatte. Alle habe ich getröstet. Bei den verheirateten ließ sich das Problem lösen, indem ich ihnen die Absolution erteilte und ihnen dann einen weiteren, vorgeblich ehelichen Sohn taufte. Die ledigen mussten in das Kloster gehen, das ich zu diesem Zweck anbauen ließ. Ihnen ist es zu verdanken, dass sich die Kirche mit Nonnen, Messknaben, Altardienern, Leichenträgern, Kutschern und Gärtnern bevölkert hat, die sie selber liefern und sodann mit ihren milden Gaben versorgen. Was die Überbevölkerung dieser Stadt angeht, so ist es wohl keine Großsprecherei, lieber Bruder, wenn ich dir sage, dass sie diese trotz ihres Skeptizismus und ihrer Religionsfeindlichkeit zum großen Teil einem Engel verdankt. Ihr seht ja, wie löblich mein apostolisches Werk gewesen ist, ich habe nicht nur den Glauben verkündet, sondern die ganze Stadt mit Englein bevölkert«, und an dieser Stelle konnte sich der Bischof de Espada, obschon er im Sterben lag, ein Lächeln nicht versagen. »Nun gut, Bruder, ich mache mich auf die Reise. Doch ich möchte nicht, dass mit meinem Leib auch die Legende vergeht, die ich geschaffen habe. Hier ist der Schlüssel für die Truhe – die in der zweiten Reihe, rechts. Darin liegen die Gewänder des Engels. Leg sie dir jetzt gleich einmal an, ich muss unbedingt noch sehen, ob sie dir auch passen oder ob man ein paar Änderungen vornehmen muss. Du sollst schließlich mein Werk fortsetzen.«
    Ohne große Umstände öffnete Echerre, wirklich erregt, aber strahlend, die Truhe und kleidete sich in die Gewänder des Engels, ergriff ein Zepter und setzte sich einen Heiligenschein auf. Prächtig herausgeputzt präsentierte er sich dem sterbenden Bischof.
    »Bellum! Bellisimus!«, rief der Geistliche in seiner Amtssprache aus. »In diesen Gewändern steig jetzt auf den Hauptglockenturm und verkünde der ganzen Stadt die Nachricht von meinem Tod. Aber zuvor gib mir noch die Letzte

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