Entflammte Herzen
hatte eine ausgeprägte Schwäche für seine Schwägerin. Seinem Bruder Rafe hingegen wollte er lieber nicht begegnen, zumindest nicht im Augenblick.
Seit ihr Vater diese absurde Verfügung hinsichtlich der Ranch getroffen hatte, kamen sie nicht mehr sonderlich gut miteinander aus.
Als sie die Eingangstür des Hotels erreichten, kam Jeb Kade zuvor und riss sie mit einer angedeuteten Verbeugung auf. »Nach dir«, sagte er mit unverkennbarer Gereiztheit in der Stimme.
Kade maß seinen Bruder mit einem kurzen, scharfen Blick, dann straffte er die Schultern und trat über die Schwelle. Die Eingangshalle mit ihren Gardinen, Teppichen und chinesischen Laternen war warm und einladend und bot einen willkommenen Kontrast zu den Entbehrungen des langen Ritts, und es brannte auch ein anheimelndes Feuer in dem erst kürzlich eingebauten steinernen Kamin. Aromatische, appetitanregende Gerüche kamen aus dem angrenzenden Speisezimmer und einzigen Restaurant der Stadt. Es war natürlich nicht mit jenen in dem sehr viel größeren und belebteren Tombstone zu vergleichen, wo es eine Unmenge solcher Lokale, ja sogar die eine oder andere Eisdiele gab, aber wenn es schon nur ein einziges Restaurant in Indian Rock gab, war Kade froh, dass es wenigstens ein gutes war.
Eine kleine Nonne mit auffallend blaugrünen Augen stand hinter der Rezeption. Kade, der kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte vor Ermüdung, blinzelte erstaunt und dachte, dass es sich um eine Sinnestäuschung handeln musste. Doch dann erinnerte er sich, der jungen Frau schon bei zwei anderen Gelegenheiten begegnet zu sein, einmal vor ein paar Monaten auf einer Party auf der Ranch und das zweite Mal bei einem früheren Besuch im »Arizona Hotel«. Sie war eines Tages mit der Postkutsche nach Indian Rock gekommen, soviel er gehört hatte, und Emmeline und ihre Mutter hatten ihr angeboten, in ihrem Hotel zu arbeiten, denn sie hatten gesehen, dass sie offenbar in Not war. Da war etwas an dieser jungen Frau, das an Kades Erinnerung nagte wie ein Hund an einem Knochen, aber er schrieb es seiner Übermüdung zu und der Tatsache, dass er wahrscheinlich einfach nur viel zu lange im Sattel gesessen hatte.
Sie nannte sich Schwester Mandy, das zumindest wusste er noch. Er lächelte ein wenig und schlenderte zu ihr hinüber, dicht gefolgt von seinem Bruder, der an der Tür ein wenig hinter ihm zurückgeblieben war. Und während Kade auf die kleine Nonne zuging, fragte er sich unwillkürlich, wie sie wohl in einem Kleid aussähe.
»Willkommen im >Arizona Hotel<«, sagte sie und beobachtete ihn misstrauisch, als versuchte sie, sich ein Bild von ihm zu machen. Sie sah aus, als fühlte sie sich schon halb bemüßigt, auf den nächsten Ausgang zuzustürzen. Seines schmuddeligen Aussehens wegen hielt sie ihn wahrscheinlich für einen Banditen, was er mindestens ebenso drollig fand wie die Verkleidung, die sie trug. Denn egal, was Schwester Mandy auch tatsächlich sein mochte, sie war genauso wenig eine Nonne wie er ein Bandit. Darauf hätte er seinen besten Sattel verwettet - oder ihn eingetauscht für einen wirklich guten Blick auf sie ...
»Möchten die Herren ein Zimmer?«, fragte sie.
Kade erinnerte sich wieder seiner Manieren - da er in letzter Zeit nicht viel Anlass gehabt hatte, sie zu benutzen, war er etwas aus der Übung - und nahm seinen Hut ab. »Zwei Zimmer«, antwortete er, ohne seinen Bruder dabei anzusehen. Er hatte fast eine ganze Woche neben diesem Iltis am Lagerfeuer geschlafen, und deshalb brauchte er nun dringend ein wenig Bewegungsfreiheit. »Bitte.«
Schwester Mandy nickte und schob Kade das Anmeldebuch zu, damit er unterschreiben konnte. Er nahm die Feder, tunkte sie in ein offenes Tintenfässchen und schrieb in großen, schwungvollen Buchstaben seinen Namen. Jeb kritzelte seine Unterschrift darunter, die wie immer fast nicht zu entziffern war.
»Ich würde gern ein Bad nehmen«, meinte Jeb. Er schien das Sprechen also leider doch noch nicht verlernt zu haben.
»Du brauchst auch eins«, bemerkte Kade und vermied es auch diesmal, seinen Bruder anzusehen. Er war gereizt und streitlustig, und das ging schon so, seit sie Tombstone verlassen hatten, doch er nahm sich zusammen und beschloss, noch ein Weilchen abzuwarten. Becky hatte hart gearbeitet, um das »Arizona Hotel« zu einem respektablen Etablissement zu machen, und das Letzte, was sie brauchen konnte - oder tolerieren würde -, war eine Prügelei in ihrer gepflegten Eingangshalle. Im Übrigen
Weitere Kostenlose Bücher