Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
sagen darf, höchsten Körpereinsatz erbracht. Daher hat sie beschlossen, sich mit dem … Hindernis, wie Sie es nennen, ein letztes Vergnügen zu gönnen. Ihr schwebt eine ausgeklügelte Inszenierung vor, die nichts mit der Brutalität zu tun hat, deren Opfer seine Tochter geworden ist. Ein eher diskreter Vorgang – Sie werden schon sehen.«
Als James Barnes das Wort Brutalität ausspricht, wird Enkells Gesicht hart. Er bemüht sich, es wie höchste Konzentration am Steuer aussehen zu lassen, denn er fädelt sich gerade ein, um die Stadtautobahn zu verlassen. Ein paar Hundert Meter weiter biegt er nach links ab und parkt unmittelbar vor der Kirche Notre-Dame-de-la-Compassion.
»Wir werden über Ihren Vorschlag nachdenken und Sie gegen Mittag anrufen. Von hier aus sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Concorde Lafayette, Sie können es da vorn schon sehen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die letzten zweihundert Meter zu Fuß zurückzulegen? Das ist sicherer.«
»Kein Problem.«
»Dann bis später.«
»Bis später.«
Die beiden Barnes steigen aus und lassen die Türen ins Schloss fallen. James dreht sich zum geöffneten Fenster des Commissaires um.
»Übrigens, Monsieur Enkell …«
»Ja?«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es handelt sich hierbei keineswegs um einen Vorschlag. Und keine Sorge – man wird uns nicht identifizieren können.«
Enkell braucht zwei Sekunden zu lange für seine Antwort. Die Zwillinge gehen bereits zügig auf ihr Hotel zu.
Benamer, der neben Enkell sitzt, hat seit Roissy kein Wort mehr gesagt. Jetzt hält er seinem Vorgesetzten einen Zettel hin.
»Ich habe eine Liste erstellt, damit wir ganz sicher niemanden vergessen. Wenn du einverstanden bist, lernen wir sie auswendig, vernichten sie und machen uns an die Arbeit.«
Erledigt:
Francis Meyer
Sam Aboulafia
Abdelhaq Haqiqi
Zu erledigen:
Vincenzo Vignola
Raymond Meyer
Mourad Bentaleb
Alpha Aïdarra
Moktar Touré
Ruben Aboulafia
Haïm Seror
James und Susan Barnes
Enkell liest die Liste durch und schweigt einen Augenblick, ehe er sich mit ungläubiger Miene an seinen Kollegen wendet.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. Mit den dreien, die wir schon erledigt haben, kommen wir auf elf. Zwölf, wenn wir den Trödelhändler dazurechnen. Zusammen mit Laura sind das dann dreizehn, und die Zahl Dreizehn bringt ja bekanntlich Glück. Glaubst du allen Ernstes, wir können in einem Umkreis von zwei Kilometern dreizehn Leute aus dem Weg räumen, ohne dass man uns auf die Schliche kommt? Was ist los mit dir, Aïssa? Du hast nach der Sache mit Raymond irgendwie den Boden unter den Füßen verloren, stimmt’s?«
Aïssa Benamer schweigt. Der selbstsichere, dominante Polizist hat sich in einen kleinen Jungen verwandelt, der Angst vor seinem Lehrer hat, weil er auf den hellen Schulstühlen in die Hose gemacht hat. Enkell versetzt ihm mit dem linken Handrücken eine Ohrfeige. Er braucht diesen Mann, und er braucht ihn jetzt. Er braucht jemanden, der ihm sekundiert – keinen hirnlosen Killer.
»Wach auf, Aïssa. Lassen wir den Barnes ihren Willen. Immerhin nehmen sie uns Arbeit ab. Und weißt du was? Danach lassen wir sie laufen. Wir sind an einem Punkt, wo alles auf der Kippe steht. Wir sollten jetzt besser gar nichts mehr tun und versuchen, einigermaßen das Gleichgewicht zu halten. Genau genommen haben wir diesen Punkt schon gestern erreicht – als dir Raymond durch die Lappen gegangen ist. Es war ein Zeichen, das nur richtig gedeutet werden muss. Von jetzt an halten wir still. Raymond Meyer wird unauffindbar bleiben, und ich bin sicher, dass er uns in Ruhe lässt, weil er keine Lust auf eine weitere Konfrontation hat. Was Haqiqi und Sam betrifft, werden unsere lieben Kollegen sich den Kopf darüber zerbrechen, was die beiden miteinander zu tun haben – abgesehen davon, dass sie in der gleichen Straße wohnten. Zu uns führt keine Spur, weil niemand wusste, dass wir mit ihnen Kontakt hatten. Hast du kapiert? Niemand wusste etwas. Weder Moktar noch Ruben noch Mourad oder Alpha. Noch nicht einmal Rabbi Seror. Verstehst du, Aïssa? Und weißt du, was das Witzigste ist? Hätten wir die kleine Laura nicht liquidieren lassen, wäre überhaupt nichts passiert. Gar nichts. Sie hatte keine Ahnung von dem Handel, den ihr Vater deckt, und war damit keine Gefahr für uns. Wir haben aus einem Impuls heraus gehandelt. Ohne nachzudenken. Wir haben den ganzen Mist hier erst ins Rollen gebracht, weil wir uns unserer
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