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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siri Goldberg
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versäumt hatte, nicht der letzte Zug von Venedig nach Salzburg gewesen war.
    Noch in der Nacht hatte sie mit Dillinger telefoniert. Er war kurz angebunden gewesen, beruhigte sie aber, was den Zustand ihres Vaters betraf, ohne ins Detail zu gehen. Außerdem versprach er, sie vom Bahnhof abzuholen. Clara wollte im Krankenhaus anrufen und sich nach Paps erkundigen, ließ es aber bleiben. Die hatten bestimmt etwas Besseres zu tun, als aufgeregte Angehörige zu beschwichtigen. Und Paps schlief vielleicht gerade und brauchte seine Ruhe. Am frühen Morgen rief sie zu Hause an, in der Hoffnung, dass Amelie rangehen und ihr Näheres berichten würde. Aber entweder war ihre ehemalige Kinderfrau bei Paps im Krankenhaus, oder sie war ausgeflogen, um Besorgungen zu machen. Jedenfalls klingelte es ins Leere und nach dem fünften erfolglosen Versuch hatte Clara aufgegeben.
    Sie zog ihren Koffer den Bahnsteig entlang. In der Nähe des Ausgangs entdeckte sie Dillingers runden Kopf, der die übrigen Reisenden überragte und von der obligaten Wollmütze gekrönt war. Er winkte ihr und fuhr sich danach ein paarmal durch den Bart, als müsste er Essensreste beseitigen. Ihre Augen suchten sein Lächeln. Niemand verstand es, strahlender zu lächeln als Dillinger, besonders wenn er ein neues Engagement verbuchen oder einen fetten Gewinn einstreichen konnte. Doch Dillinger lächelte nicht. Seine Mundwinkel samt Schnauzer zeigten um fünfundvierzig Grad abwärts, was ihm das Aussehen eines depressiven Walrosses verlieh.
    »Was ist mit Paps? Wie geht es ihm?«, fragte Clara atemlos.
    »Hallo, Clärchen! Endlich bist du wieder da. Ich fahre dich gleich nach Hause.«
    »Ich würde lieber zuerst ins Krankenhaus fahren.«
    Dillinger brummte etwas Unverständliches und drückte sie so fest, dass sie kaum Luft bekam. Als sie sich aus seinen Armen wand, entdeckte sie ein feuchtes Glitzern in seinen Augenwinkeln.
    Der Anblick versetzte ihr einen Stich. Sie hätte schwören mögen, dass ihr Agent ein Herz aus Stein besaß und sich keine Träne je in seine Augenwinkel verirrt hatte.
    »Was ist los?«
    »Es tut mir so leid, Kindchen. So verdammt leid.« Ungeschickt strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Wer hätte das ahnen können? Sicher, Leo war nicht mehr der Jüngste. Aber dass er so schnell …«
    Die Welt um Clara schien plötzlich einzufrieren. Sie nahm nichts mehr wahr, nicht das hektische Gerenne der Reisenden, nicht ihren Lärm. Sie sah nur noch Dillingers rundes Gesicht. Seine großen Augen, die hinter den Brillengläsern verschwammen, den traurigen Walrossschnurrbart.
    »Nein«, flüsterte sie. »Nein.« Das dritte Nein schrie sie, dann drosch sie mit den Fäusten auf die Brust des Walrosses ein. Sie schlug Dillinger mit der ganzen Kraft ihrer Pianistinnenhände, er wehrte sich nicht, sie brüllte ihm ihre Wut ins Gesicht, ihre Enttäuschung und die Angst vor dem, was passiert war und was sie noch nicht annähernd begriff.
    Dann drehte sie sich um und rannte los. Sie ließ Dillinger stehen, sie ließ ihren Koffer stehen und rannte in den Salzburger Regen hinaus, in Richtung Innenstadt, am Mirabellgarten vorbei, über den Makart-Steg, durch die Altstadt, bis sie vor Seitenstechen nicht mehr konnte und einige Augenblicke stehen bleiben und in den Schmerz hineinatmen musste. Dass sie dabei klatschnass wurde, bemerkte sie gar nicht. Schon lief sie weiter, langsamer jetzt, aber ohne Unterbrechung.
    Erst als sie die Einfahrt der Villa Prachensky erreichte, hielt sie inne. Wie sehr hatte sie sich jedes Mal gefreut, wenn sie heimgekommen war und ihr die blauen Fensterläden durch das Laub der Platane entgegengeblinzelt hatten. Diesmal blinzelten sie nicht, sie starrten steingrau durch die Lücken der Baumkrone und den Vorhang aus Regenschnüren.
    Mit klopfendem Herzen steckte Clara den Schlüssel ins Schloss. Doch bevor sie ihn umdrehen konnte, wurde die Tür aufgerissen. Amelie zog sie ins Haus und schloss sie in die Arme.
    Einen winzigen Moment lang hatte Clara gehofft, dass es nicht stimmte. Dass sie Dillinger falsch verstanden hatte und doch noch alles gut werden würde. Aber Amelies Gesichtsausdruck und die Art, wie sie die Arme um Clara geworfen hatte, sprachen Bände.
    Tränen flossen, Bäche von Tränen, die nicht mehr aufhören wollten. Amelie weinte mit ihr. Dann machte sie sich los, nahm Clara an der Hand, ging mit ihr ins Bad. Sie half ihr, die nassen Kleider auszuziehen und in die Wanne zu steigen, in die sie warmes Wasser

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