Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
1. Gespensterehe
Norton warf seinen Rucksack zu Boden und schöpfte eine doppelte Hand voll Wasser. Er trank und
genoß die Kälte, die gegen seine Zähne schlug und seinen Gaumen gefühllos werden ließ. Man konnte
leicht vergessen, daß dies hier ein künstlicher Quell war, durch Magie gekühlt; er wirkte so
natürlich.
Zwanzig Meilen war er durch die kultivierte Wildnis des Stadtparks gewandert und wollte nun das
Nachtlager aufschlagen. Er hatte Nahrung für eine weitere Mahlzeit dabei; am Morgen würde er
seine Vorräte wieder auffrischen müssen. Das könnte peinlich werden, denn er besaß keinen Kredit
mehr. Nun, darüber würde er sich morgen Gedanken machen.
Er sammelte trockene Äste und Blätter, wobei er darauf achtete, keine lebenden Pflanzen zu
stören, und baute sich in einer Erdmulde einen kleinen Scheiterhaufen. Er entdeckte getrocknetes
Moos und stopfte es ins Innere seiner Pyramide. Dann brummte er einen Entzündungszauber, und die
Flamme sprang berstend ins Leben.
Norton holte drei Steine, legte sie um das sich ausdehnende Feuer und klappte seine kleine
Bratpfanne auf. Dann holte er seinen spanischen Reismix hervor und schüttelte ihn in die Pfanne,
wobei er den Mix schüttelte, damit sich der Reis bei der zunehmenden Hitze bewegte. Als er
anzubräunen begann, fügte Norton einige Handvoll Wasser hinzu, was einen kräftigen Dampfschwall
hervorrief, der nach kurzer Zeit verebbte. Dann stellte er die Pfanne auf die Steine und ließ sie
schön allein vor sich hin brutzeln.
»Hätten Sie einen Happen übrig?«
Überrascht blickte Norton auf. Normalerweise bemerkte er andere Kreaturen sofort, besonders
Menschen, auch dann, wenn er sich aufs Kochen konzentrierte, denn er war die Geräusche der Natur
gewohnt. Doch der hier war offensichtlich aus dem Nirgendwo erschienen. »Das ist alles, was ich
habe«, erwiderte er. »Ich werde es teilen.« Tatsächlich bedeutete dies, daß er mit der halben
Portion hungrig bleiben würde, aber er konnte nie nein sagen.
Der Mann kam näher, ohne daß seine Füße irgendein Geräusch verursachten. Er war offensichtlich
Mitte bis Ende Zwanzig, ungefähr zehn Jahre jünger als Norton, und in ungewöhnlich guter
Kondition. Seine Kleidung war vom Stil der städtischen Oberklasse, doch er besaß die schwieligen
Hände eines stark physisch orientierten Mannes. Reich, doch kein verweichlichter
Einsiedler.
»Sie sind von der unabhängigen Sorte«, bemerkte er.
»Hauptsächlich ist es die Wanderlust«, erklärte Norton. »Irgendwie möchte ich immer auch die
andere Seite des Berges sehen. Egal welchen Berges.«
»Selbst dann, wenn Sie wissen, daß der Berg künstlich ist?« Bedeutungsvoll ließ der Mann den
Blick über die Landschaft schweifen.
Norton lachte locker. »So ein Narr bin ich eben!«
Der Mann schürzte die Lippen. »Na? Das glaube ich nicht.« Achselzuckend fuhr er fort: »Schon mal
daran gedacht, sich mit einer guten Frau niederzulassen?«
Der Kerl ging aber gleich ans Eingemachte! »Die ganze Zeit. Aber selten länger als ein oder zwei
Wochen.«
»Vielleicht sind Sie nie einer begegnet, die gut genug für ein oder zwei Jahre war.«
»Vielleicht«, stimmte Norton ohne Verlegenheit zu.
»Ich ziehe es vor, darin eine Auszeichnung der Philosophie zu sehen. Ich bin ein Reisemensch; die
meisten Frauen sind Hausmenschen. Wenn ich jemals eine fände, die meine Reisen mit mir teilen
wollte...« Er hielt inne, von einem neuen Gedanken bewegt. »In diesem Sinne verlassen mich die
Frauen ebenso, wie ich sie verlasse. Sie ziehen ihr Heim meiner Gesellschaft vor, ganz ähnlich
wie Katzen. Ich ziehe weiter, sie bleiben - aber jeder weiß von Anfang an, zu welcher Sorte der
andere gehört. Deshalb werden auch keine Erwartungen enttäuscht.«
»Der Mann tut, die Frau ist«, pflichtete der Mann ihm bei.
Norton schnupperte an seinem Reis. »Der ist fast fertig; hat einen Schnellkochzauber. Haben Sie
einen Teller? Ich könnte auch einen aus Holz machen.« Er legte die Hand an sein stabiles
Jagdmesser.
»Ich brauche keinen.« Der Mann lächelte, als Norton ihn von der Seite her anschaute. »Tatsächlich
esse ich gar nichts. Ich wollte mich nur von Ihrer Gastfreundschaft überzeugen. Sie waren bereit,
hungrig auszugehen, um mit mir zu teilen.«
»Kein Mensch kann allzu lange ohne Essen auskommen, und ich kann deutlich erkennen, daß Sie kein
Asket sind. Ich werde Ihnen einen Teller schnitzen...«
»Mein Name ist Gawain. Ich bin ein Gespenst.«
»Norton
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