Entscheidung im Palast des Prinzen
Leben auf glückliche Zufälle verlassen hätte, würde er jetzt auch in der Familiengruft liegen – zusammen mit dem Rest seiner Familie.
Beinah apathisch nahm die Fremde das Glas entgegen, trank einen großen Schluck und hustete. „Das schmeckt ja furchtbar!“
Alexej nippte an seinem Glas und genoss die Karamell- und Eichenholznoten. Der fünfzig Jahre alte schottische Whisky war einfach perfekt. Genau wie das Theater, das ihm diese Paige vorspielte. Sie wusste, wie man das Unschuldslamm mimte.
Verächtlich verzog er den Mund. Chad Russell dachte, genau wie dessen Vater, er könnte „Woronow Exploration“ in den Ruin treiben, wenn er nur genug Geld an die richtigen Leute verteilte. Doch bisher war ihm das nicht gelungen, und das sollte auch in Zukunft so bleiben. Bevor ich diesen Kampf verliere, sterbe ich lieber, dachte Alexej. Wenn es mir bloß gelingen würde, Pjotr Walischnikow davon zu überzeugen, seine baltischen und sibirischen Ländereien an Woronow Exploration zu verkaufen und nicht an Russell Tech. Mit einem Federstrich könnte Walischnikow es ihm ermöglichen, Russell Tech ein für alle Mal zu zermalmen.
Und Katherina wäre gerächt. Das war alles, was zählte.
Alexej musterte die Frau auf seiner Couch. Wenn sie ihn tatsächlich um den Finger wickeln sollte, damit er aus dem Nähkästchen plauderte, machte sie einen verdammt schlechten Job. Sie war schön, und zwar auf ganz natürliche Weise, war sich dessen aber offenbar nicht bewusst. Außerdem schien sie unter Schock zu stehen, deshalb hatte er ihr den Scotch gegeben.
Jetzt griff sie in eine Tasche ihres denkbar unmodernen Mantels, zog eine Brille heraus und setzte sie auf. Schulterzuckend sah sie zu ihm hoch. „Ich sehe auch ohne ziemlich gut, aber mit der Zeit bekomme ich Kopfschmerzen“, erklärte sie, senkte den Blick und betrachtete das Glas in ihrer Hand. „Aber wenn es draußen kalt ist, beschlägt die Brille immer beim Reingehen.“
„Weshalb waren Sie allein auf dem Roten Platz?“
Sie sah ihn an. Die Brille ließ ihre dunklen Augen noch größer wirken. Wieder spürte er dieses Ziehen im Bauch, das er schon empfunden hatte, als er sie im Arm gehalten und ihr Duft ihn an seine Sommer in der Ukraine erinnert hatte. Die Augen seiner Schwester waren genauso dunkel gewesen. Katherinas Blick verfolgte ihn, egal, wie sehr er sich bemühte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.
„Ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen“, sagte Paige.
„Alexej“, antwortete er, obwohl sie seinen Namen bestimmt genau kannte. Doch wenn sie ihn tatsächlich ausspionieren sollte, warum hatte sie ihm dann erzählt, dass sie für Chad Russell arbeitete? Ich werde ihr Spiel mitspielen, dachte Alexej, zumindest fürs Erste.
Sie wiederholte seinen Namen.
„Genau“, bestätigte er. „Jetzt erzählen Sie mir von Ihrer Schwester.“
Angst und Sorge traten in ihre rauchgrauen Augen. Sie trank noch einen Schluck Scotch und hustete wieder. „Emma ist gestern einundzwanzig geworden. Sie sieht ganz anders aus als ich, ist groß und blond, amüsiert sich gern und geht gern shoppen. Heute Nachmittag hat sie an einer Stadtführung teilgenommen, während ich Unterlagen für Chads morgiges Meeting vorbereiten musste. Ich habe bei ihm in der Suite zu Abend gegessen und anschließend weitergemacht.“
„Hm“, meinte Alexej und bezweifelte stark, dass die beiden nur miteinander gearbeitet hatten. Erstaunt stellte er fest, dass ihm der Gedanke an Paige und Chad Russell einen Stich versetzte.
„Gegen acht hat mir Emma eine SMS geschickt“, fuhr Paige fort, „darin stand, dass sie in die Hotelbar gehen wollte. Als ich um halb neun in unser Zimmer kam, war sie noch nicht da, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Erst als sie um elf immer noch nicht wieder zurück war, habe ich mir Sorgen gemacht und mehrmals versucht, sie auf dem Handy zu erreichen. Aber sie ist nicht rangegangen.“
Paige stand auf, anscheinend ein bisschen zu schnell, denn sie wurde blass und musste sich wieder setzen. Eine Hand hielt sie an den Kopf. Dass jemand von zwei Schluck Scotch betrunken wurde, hatte Alexej noch nie gesehen.
„Normalerweise trinke ich keinen Alkohol“, sagte sie mehr zu sich selbst, und ihre Augen wirkten ein wenig glasig. „Ich muss Emma suchen.“
„Das mache ich für Sie.“ Sollte Chads Spionin ruhig glauben, dass ihr Plan aufging. „Wo ist Ihr Handy?“
Sie tastete ihre Manteltaschen ab. „Oh nein! Ich glaube, ich habe es verloren, als
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