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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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auch das einzige. Eine wuchtige, aus schweren, eisenbeschlagenen Balken gezimmerte Tür führte ins Innere des Hauses. Coar gebot ihm mit einer knappen Geste stehenzubleiben und zog an einer Kordel neben der Tür. Kurz darauf wurde in der Tür eine schmale Klappe geöffnet, und ein dunkles Augenpaar blickte mißtrauisch zu ihnen hinaus.
    Coar wechselte ein paar Worte mit dem Mann hinter der Tür. Die Klappe wurde geschlossen, und die Kommandantin trat zurück. Ein angespannter, besorgter Zug lag plötzlich um ihre Lippen.
    »Logar wird uns empfangen«, sagte sie knapp. »Er wußte bereits von unserem Kommen.« Sie zögerte, sah Skar sekundenlang unschlüssig an und fügte etwas leiser und hastig hinzu: »Er ist ein sehr mißtrauischer Mann. Es wird besser sein, du sagst so wenig wie möglich. Bernec war bereits bei ihm.« Der letzte Satz war in einem Tonfall gehalten, der deutlichmachte, daß dies allein — zumindest für Coar —Grund genug zu der Annahme war, daß sie Schwierigkeiten erwarten mußten.
    Skar wollte eine entsprechende Frage stellen, aber in diesem Moment wurde die Tür bereits geöffnet, und Coar wandte sich um, um vor Skar das Gebäude zu betreten.
    Drinnen war es kühl und überraschend hell. Skar hatte beim Anblick der schmalen, schießschartenähnlichen Fenster unwillkürlich ein finsteres, muffig riechendes Verlies erwartet, aber das Gegenteil war der Fall: Hinter der Tür erstreckte sich ein breiter, hell erleuchteter Flur, an dessen hinterem Ende eine kurze Treppe begann, die zu einem weiteren Gang hinaufführte. Die Wände waren mit Bildern und rankenden Blütengewächsen bedeckt, und auf dem Boden lag ein knöcheltiefer, weicher Teppich, der — ebenso wie Bilder und Vorhänge — Blumen- und Tiermotive zeigte. Von außen mochte das Gebäude eine triste, graue Festung sein, innen war es ein Palast.
    Coar ging rasch durch den Gang und blieb am Fuß der kurzen Treppe stehen. »Warte hier«, sagte sie leise. »Ich werde zuerst allein mit Logar reden. Ich lasse dich rufen.«
    Skar nickte wortlos und trat einen Schritt zurück. Coar verschwand mit eiligen Schritten im angrenzenden Gang. Augenblicke später hörte er gedämpfte Stimmen, die dann vom Geräusch einer zuschlagenden Tür abrupt abgeschnitten wurden.
    Er war allein in dem langen, schmalen Gang. Der Wächter, der sie eingelassen hatte, war verschwunden, ohne daß Skar bemerkt hätte, wohin. Der Gang schien außer der Eingangstür und der Pforte am oberen Ende der Treppe, an der er stand, keinerlei Ausgänge zu besitzen, aber hinter den rankenden Grüngewächsen an den Wänden konnten sich Dutzende von Öffnungen befinden. Wahrscheinlich; überlegte er matt, beobachteten sie ihn in diesem Moment — wer immer sie sein mochten.
    Er lehnte sich gegen die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und schloß für einen Moment die Augen. Müdigkeit kroch wie eine dumpfe, betäubende Wolke in ihm empor. Der Waffengurt an seiner Seite wurde plötzlich unerträglich schwer, und der lederne Brustharnisch schien sich von einer Sekunde auf die andere in eine zollstarke Eisenplatte zu verwandeln. Er öffnete die Augen, schüttelte den Kopf und ballte ein paarmal kurz und heftig die Fäuste; ein Trick, der fast immer half, die Müdigkeit zu verscheuchen. Diesmal klappte es nur bedingt. Er war einfach am Ende, ausgelaugt und fertig. Was er brauchte, war Schlaf, einen, vielleicht zwei Tage Schlaf und kräftige Nahrung.
    Er stieß sich von der Wand ab, ging ein paar Schritte und betrachtete — weniger aus wirklichem Interesse als vielmehr, um überhaupt irgend etwas zu tun und die immer drängendere Müdigkeit zu überspielen — die Bilder entlang der Wände. Sie schienen alle von der Hand des gleichen Künstlers geschaffen zu sein und zeigten ausnahmslos Tier- und Pflanzenmotive: Vögel, Pferde, Wölfe, aber auch Fabelwesen, wie er sie noch nie zuvor erblickt hatte. Eines der Bilder erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Im ersten Augenblick war er sich nicht einmal sicher, was das darauf abgebildete Etwas darstellen sollte — eine schwarze, unangenehm anzuschauende Masse, die an ein Nest sich windender Schlangen, an Spinnenbeine und glitschige Krakenarme erinnerte.
    Durch einen genialen Trick hatte der Künstler sogar den Anschein von Bewegung festgehalten: Wenn man nur lange genug auf das unentwirrbare Gekringel schwarzglänzender Linien und Striche starrte, schien das Fabelwesen zum Leben zu erwachen. Es wand sich, wogte hierhin und

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