Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Pausen dazwischen nicht mehr wahrzunehmen waren.
Es war nicht das erste Mal, daß Skar die Geburt eines Kindes miterlebte, aber er hatte noch nie eine Niederkunft gesehen, die so voller Schrecken war wie diese. Vela begann zu schreien und sich zu winden, so heftig, daß Yar-gans und Gowennas vereinte Kräfte kaum ausreichten, sie zu halten. Sie blutete aus Nase, Mund und Ohren, und ihr Atem wurde von einem rasselnden Geräusch begleitet.
Sie starb, als der Kopf des Kindes sichtbar geworden war.
Ihr Körper bäumte sich in einem letzten qualvollen Zucken auf, und über ihre Lippen kam ein Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte. Dann erschlaffte sie. Der Blick ihrer weit geöffneten, blutenden Augen brach.
Gowenna schrie auf, warf sich mit einer verzweifelten Bewegung über ihren Leib und begann zu pressen, und Skar drehte sich endgültig um. Übelkeit stieg in ihm hoch. Er sah nicht mehr, was geschah, aber er hörte Laute, schreckliche Geräusche, die er nie wieder vollkommen vergessen sollte und die nichts mehr mit einer normalen Geburt gemein hatten. Gowenna rief etwas, das Skar nicht verstand, Yar-gan antwortete in der gleichen Sprache, dann sah er den Sumpfmann aus den Augenwinkeln aufspringen, zu den Feuerschalen stürzen und einen Dolch aus der brennenden Kohle ziehen. Seine Klinge glühte rot, und der lederbezogene Griff schwelte bereits.
Skar schloß die Augen, preßte die Stirn gegen die Wand und schlug die Hände vor die Ohren. In seiner Brust begann sich wieder dieser Druck aufzubauen, ein Gefühl, als würde eine Stahlfeder bis zum Zerreißen gespannt, immer weiter gespannt, immer und immer und immer weiter...
Er schrie auf, als ihn Gowenna an der Schulter berührte. Ihre Hand war feucht und warm, und Skars Übelkeit wurde unerträglich. Mühsam kämpfte er den Brechreiz nieder, der in seiner Kehle emporstieg, drehte sich um und sah Gowenna an. Ihr Gesicht wirkte erschöpft und müde, aber in ihren Augen stand ein seltsames Flackern, ein Ausdruck, den er nie zuvor an ihr gesehen hatte.
»Komm.«
Skars Herz begann wie rasend zu hämmern, als er neben ihr auf Vela und Yar-gan zuging. Der Sumpfmann kniete neben der toten Errish und drehte ihm den Rücken zu, aber die Haltung seiner Schultern verriet Skar, daß er etwas in den Armen hielt.
Es schreit nicht,
dachte er.
Kinder schreien, wenn sie geboren sind. Es schreit nicht. Es muß tot sein.
Aber gleichzeitig spürte er, daß es nicht tot war, daß es lebte und genau in diesem Moment erwachte, zum ersten Mal so etwas wie einen bewußten Gedanken formte, die Welt, in die es geboren worden war, mit unsichtbaren Händen betastete und befühlte...
Er blieb stehen. Er wollte nicht weitergehen. Mit einem Male hatte er Angst, unsägliche Angst, die nächsten Schritte zu tun und das Kind zu sehen, aber Gowenna schob ihn mit sanfer Gewalt weiter.
Yar-gan richtete sich auf, als er neben ihm stehenblieb. Das Kind lag in seinen Armen, unendlich klein und verloren in den gewaltigen Pranken, die sich der Sumpfmann von Del geliehen hatte.
Es war ein ganz normales Kind, klein und mit dem zerknautschten Greisengesicht der meisten Neugeborenen, noch voller Blut und Schleim, und Skar fragte sich bestürzt, was er erwartet hatte. Ein Monster? Ein spinnenköpfiges schwarzes Ding mit Krakenarmen und Pferdefuß und Vampirzähnen? Es war ein normales Kind. Es sah normal aus, und es
war
normal, das wußte er, ganz plötzlich. Er spürte die Macht, die hinter der Stirn dieses winzigen Wesens schlummerte, aber gleichzeitig wußte er — und es waren genau diese Worte, die er dachte, Worte, über die er noch vor Augenblicken gelacht hätte —, daß es unschuldig und rein war wie alle Neugeborenen, und daß, wenn es böse werden würde,
sie
es waren, die das Böse in seine Seele pflanzen würden.
Zögernd streckte er die Hände aus, nahm das Kind entgegen und legte es ungeschickt in seine Armbeuge. Ein leises, seltsam friedlich klingendes Seufzen kam über die Lippen des Knaben, und ein sonderbar fremdes Gefühl von Frieden ergriff von Skar Besitz.
Yar-gan und Gowenna wichen lautlos von ihm zurück. Er sah, wie der Sumpfmann an seinen Gürtel griff und sein Schwert zog, und er hörte das leise Kratzen hinter sich, als Gowenna dasselbe tat, aber er achtete nicht darauf, sondern blickte weiter wie gelähmt auf das Kind in seinen Armen herab,
sein
Kind, ein Stück von ihm, ganz gleich, wie man es sah. Seine Hände regten sich, griffen mit einer Bewegung, die es noch
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