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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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damit möglicherweise das Bild eines abrupten Abrupfens gezeichnet, ähnlich dem schwungvollen Entkorken einer Weinflasche.«
    Jetzt, dachte ich, hast du mir ein Bild gezeichnet. Ich werde keine Pulle Wein mehr aufmachen können, ohne dass es mich einholt.
    »Das war nachlässig von mir. Natürlich ist der Körper noch ein paarmal am Draht schaukelnd auf und ab getanzt, bevor der Hals endgültig durchtrennt war. Und jedes Hochhüpfen brachte die Drahtschlinge in eine andere Position, jedes erneute Straffen eine andere Schnittverletzung mit sich. >Zapp-zapp-zapp-zapp-zapp<. Und selbstverständlich griff der Selbstmörder in entsetztem Bewusstwerden seines fatalen Tuns nach dem Draht, verzweifelt bemüht, das Unausweichliche doch noch abzuwenden, und zerschnitt sich die Gliedmaßen bei seinen fruchtlosen Versuchen.« Energisch biss er den Faden durch, befestigte die Nadel mit einem Stich quer durch die Brusttasche an seinem Kittel, klopfte der Leiche wie zum Abschied auf die Schulter und erhob sich. »Nachdem das nun geklärt ist, hoffe ich, Sie schlafen wieder ruhig«, meinte er ebenso wohlwollend wie nachdrücklich, endgültig, abschließend.
     
    »Das klang doch ganz plausibel«, fand Jochen. Sein angeborener Hang zur Unterwerfung hatte wieder die Überhand gewonnen über seinen >Recht-und-Gesetz<-Fimmel.
    Wie ein Fähnchen im Wind, unser Jochen.
    Ich machte »Hrm«.
    »Okay, auch ich hatte zu Anfang meine Zweifel«, fuhr er fort und zog mit einem Pümm den Korken von der angebrochenen Flasche Portwein neben seinem Bett. »Doch je länger ich drüber nachdenke …« Nachdenklich goss er sich ein Wasserglas voll. Redete sich die ganze Angelegenheit schön. Log sich einen in die Tasche. Nahm den einfachen Weg. Schwenkte mit vollen Segeln ein auf die Zouteboom-Köthensieker’sche Linie.
    Oder versuchte es zumindest. Er sollte mich besser kennen.
    Ich sah auf die Uhr. Um fünf am Morgen, wenn der ganze Kahn schlief, wollten sie das Mordopfer über die Reling wandern und damit für immer verschwinden lassen. Uns blieben somit drei Stunden, etwas zu unternehmen. Bloß was?
    »Du wirkst immer noch nicht überzeugt«, fiel Jochen auf. »Und jetzt stopp mal für einen Moment dieses Hin- und Hergerenne. Setz dich auf deinen Hintern und denk nach!«
    Ja, dachte ich. Das mach ich. Mit einem Schritt war ich im Bad und hob den Wandspiegel aus seiner Klemmhalterung über dem Waschbecken. Nachdenken, dachte ich. Das werde ich. Und mir ein bisschen nachhelfen beim Nachdenken, das werde ich auch.
     
    Jochen sah mir mit zusammengezogenen Brauen zu, wie ich erst den Spiegel auf den Tisch zwischen uns legte und dann meinen Arm in das Tiefkühlfach unseres Kühlschranks steckte. Ganz weit nach hinten.
    »Was solin das werden?«, fragte er er misstrauisch und goss sich Port nach.
    »Nur ein bisschen kristalline Stimulanz«, sagte ich. »Um der wachsenden Ode auf See entgegenzusteuern.« Und ich packte den Beutel auf den Spiegel, ging noch mal ins Bad, eine Klinge holen.
    »Wachsende Öde? Kristof, wir sind gerade mal den siebten Tag auf See, und du sprichst schon von wachsender Öde? Was soll denn erst sein, wenn wir zwei Monate unterwegs sind?«
    »Och«, sagte ich und wog den Beutel in der Hand, »damit kommen wir locker zwei Monate aus.« Es war deutlich mehr als ein Kilo.
    »Und wenn die zwei Monate um sind und das Zeugs ist alle? Was willst du dann gegen die Öde tun?«
    »Dann haben wir noch so einen im Eisfach.«
    »Noch so … Woher um alles …?«
    »Längere Geschichte«, sagte ich und hackte und schob mir zwei Lines zurecht.
     
    Meinem Freund Pierfrancesco Scuzzi hatten sie den, sagen wir mal, Grossisten wegverhaftet. Nach Jahren reibungsloser Zusammenarbeit stand Scuzzi von heute auf morgen ohne Nachschub da und seine Kunden wurden rasant rappelig. In seiner Not telefonierte er hastig herum und tat auch tatsächlich eine neue Connection auf.
    »Und ich habe ihn noch so gewarnt«, sagte ich zu Jochen und zog mir die erste Line weg. »Scuzzi, sag ich zu ihm, was erzählst du da? Albaner? Bist du noch ganz dicht?«
    Doch hat er gehört, mein Freund? Nein. Die erste, kleinere Lieferung war ohne jede Beanstandung. Qualität wunderbar, Transfer ohne Stress, alles lief reibungslos. Kunden zufrieden, Scuzzi beruhigt. Auch die zweite, dritte Bestellung erledigten die Albaner ohne Probleme. Doch dann wurden ihnen die Aufenthaltsgenehmigungen nicht verlängert. Sagten sie. Scuzzi, der sein bequemes Leben - von früh bis spät

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