Equinox
Pierfrancesco so einen seltsamen Schimmer in die Augen zu treiben vermag. »Den musst du angeschafft haben«, meinte Jochen verdrießlich.
»Und deshalb«, presste ich hervor, begleitet von Rauch, und löffelte ein bisschen Granulat aus dem Beutel auf den Spiegel, »habe ich Folgendes beschlossen.«
Jochen schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, setzte die Flasche an und zog gleichzeitig eine Miene, die schon vorweg Opposition ankündigte zu jeglicher Form eines von mir geäußerten Beschlusses, gleich welcher Natur.
»Wir ziehen los«, eröffnete ich ihm und fragte mich, wo zum Deibel ich die Rasierklinge gelassen hatte, »schnappen uns die Leiche« - prustend sprühte italienischer Kräuterfusel quer durch die Kabine - »und verstecken sie bis zur Ankunft im nächsten Hafen irgendwo an Bord.«
»Du spinnst«, kam der erwartete Einwand, zerhackt von heftigem Husten. »Mit dem verdammten Pulver hast du dir den letzten Rest Verstand verschossen.«
Fertig mit Husten, blickte Jochen zu Boden, als dämmere ihm nur schrittweise, dass dunkelbrauner Likör und sandfarbene Auslegware zwar bis zu einem gewissen Grad organisch, aber in keinster Weise farblich miteinander zu verschmelzen vermögen.
»Ohne mich«, fügte er hinzu.
Mangels einer greifbaren Klinge walzte ich die Körner mit der - leeren - Bierflasche zu Staub. Einmal angesetzt und schon ist nichts mehr drin, in den kleinen Dingern. Gott sei Dank war der Duty Free rund um die Uhr geöffnet.
»Jockel«, sagte ich zu ihm, wie ich es in Momenten zu tun pflege, wenn das Herz spricht, »dieses arme Schwein wurde zu Tode gehackt. Das können und das werden wir nicht einfach ignorieren. Und nun« - hastig zog ich mir noch eine Prise und sprang auf - »lass uns los!«
Im Grunde musste man von der Equinox im Plural sprechen; sie war zwei Schiffe: eines im Bauch des anderen versteckt. Das eine ein Luxusliner allerhöchster Exklusivität, das andere ein Seelenverkäufer wie Tausende andere auch. Nach außen hin eine weitläufige Welt des Lichtes, der Aromen und des Müßiggangs; unter der Oberfläche ein enges, verschwitztes, muffiges Schattenreich. Es war ein bisschen so wie Erste gegen Dritte Welt. Oder, um den gemeinsamen Lebensraum mit ins Bild zu nehmen, als ob man - sicherlich ganz in Kapitän Zoutebooms Sinne - die Apartheid wieder eingeführt hätte. In perfektionierter Form, diesmal.
Nun, natürlich war diese Trennung zwischen Zahlenden und Bezahlten rein praktischer Natur. Der Fahrgast in der luxuriösen Außenkabine will gar nicht wissen, wie und wo im Bauch des Dampfers die Mannschaft haust, und das Paar in eleganter Abendgarderobe braucht nun wirklich keine Küchenhelfer vergilbte Zehn-Kilo-Plastikeimer »Tomaat-Soep-Concentraat« und Fünf-Kilo-Tüten getrockneter »Herbes de Provence« wuchten zu sehen, bevor es sich zu seiner »Consomme de tomates á la Proveneale« niederlässt.
Deshalb war der Kahn in seinem Innern von vorne bis hinten und von oben bis unten von schmalen Gängen und Treppenhäusern und Aufzügen durchwirkt, einzig und allein dem Personal vorbehalten und ganz allgemein für den unauffälligen und reibungslosen Ablauf dieses schwimmenden Hotelbetriebes bestimmt.
Um diese frühe Stunde war der Großteil der Gäste gefüttert und abgefüllt. Wer sich noch nicht in seine Kabine zurückgezogen hatte, ließ sich im Casino ausnehmen, in einer der fast ein Dutzend Bars weiter voll laufen oder in der Piano-Lounge in eine sachte Form von Koma klimpern, so dass der Großteil der Bediensteten Zeit für seine eigenen Bedürfnisse fand. Und die bestanden erst mal aus Schlaf.
Jochen und ich hatten die Gänge, Lifte und Stiegen des Schattenreiches praktisch für uns.
Praktisch. Das hieß, nicht vollständig.
»Dasss isssas Verrücktesde, dasssich jemals innn mein-nnenm Lehm unnternomm hab«, keuchte Jochen, der sein Nervenkostüm mit großzügigen Dosen Ramazzotti bei der Stange hielt, dicht an dicht mit mir und dem Ersten Steward in einen leeren Spind gepfercht, während draußen eine späte Putzkolonne unter asiatischem Geschnatter den Küchentrakt verließ.
»Gib mir auch einen«, sagte ich zu ihm. Wenn man mit jemandem auf engstem Raum zusammenarbeiten muss, ist man gut beraten, das Gleiche zu sich zu nehmen, egal ob Knoblauch oder Ramazzotti. Jochen griff oben ins Leinen, wo der Schnaps an das Ohr des Stewards geschmiegt lag, und reichte mir die Pulle. Widerwillig nahm ich einen Schluck von dem galligen Zeug und dann noch
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