Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
da war das Meer, und ich meinte, irgendwo über unseren Köpfen Schüsse zu hören.
    »Wir sind da!« Elenas Augen leuchteten, doch meine fielen auf das zerstochene Schlauchboot auf dem ansonsten verlassenen Landungsdeck, und Zynismus gewann die Oberhand über mich, als mir klar wurde, mal wieder Recht gehabt zu haben, da tauchte Ratsos schwankender Kopf über dem Rand des Decks auf und er schrie und winkte uns zu sich.
     
    »Irgendein Irrer hatte ihn schon vom Boden losgeschraubt und umgeschmissen und sämtliche Drähte und Kabel durchtrennt«, keuchte Jochen, über den Gummiwulst gehängt, zwischen konvulsivischen Schüben von Halbverdautem.
    Nicht jedermanns Sache, so eine Schlauchbootfahrt.
    »Ach«, sagte ich neben ihm, Hände im kalten Strom des Wassers, und ließ den Schraubenschlüssel unauffällig los. »Wer könnte so was getan haben?«
    »Aber Honnaido war fast fertig damit, ihn wieder anzuschließen, da haben sie erst den einen Typen gefunden, diesen Gorilla, tot, und dann Köthensieker, ebenfalls tot.«
    »So was«, sagte ich.
    »Und urplötzlich ging dieses Geballer los, und in der allgemeinen Verwirrung hab ich ihn zusammen mit Heather auf eine Sackkarre gepackt und mit aufs Boot genommen.«
    >Hoooooonk-Hoooaaan<, kam es aus dem Nebel vor uns, in den die Equinox schon längst entschwunden war, nur noch auszumachen am Wummern ihrer Diesel.
    »War vielleicht trotzdem fahrlässig, das Ding mitzunehmen«, wandte ich ein, und Jansen schnaubte dazu. Sanft klatschte die Dünung gegen das Boot, leise sirrte der Außenborder, sachte stöhnend richtete Scuzzi sich aus seiner liegenden Position auf, rieb sich den Hinterkopf und sah sich mit einem Ausdruck äußerster Verwirrung nach allen Seiten um. Ich warf der im Heck am Steuer sitzenden Gazella einen raschen Kuss zu und sie griente und Elenas Ellbogen stach mir in die Rippen. Ich war von jetzt an vergeben, hieß das, denke ich.
    »Das Ding«, Jochen wandte sich zu mir, grün wie drei Wochen alte Mortadella, aber immer noch fähig zu rechtschaffener Entrüstung, und deutete mit lang ausgestrecktem Zeigefinger darauf, »das Ding da weiß zufällig, wo meine achtzehntausendfünfhundertunddreiunddrei-ßig Euro hin sind! Und das wüsste ich auch gern!«
    »And my Dad’s fifteen million dollars«, fügte Heather hinzu, die in der Mitte des Bootes auf dem in Folie eingeschlagenen Votix hockte wie die Henne auf dem Ei.
    Plus hundertfünfunddreißig weitere Millionen, ging mir durch den Kopf.
    Hoooooonkoooaaan!
    Meerwasser nimmt keine Seife an, musste ich feststellen, also nibbelte ich meine vor Kälte schon lange gefühllosen Hände gegeneinander. Schabte Carlas Blut mit den Nägeln aus den Poren.
    Hoooooonoooaaan!
    »Hört sich an, als kämen die sich verdammt nahe«, kommentierte Jansen mit horchendem Gesicht und Sorgenfalten auf der Stirn, und Ratso wies Gazella an, ein bisschen weiter nach links zu steuern.
    Elena fasste mich an der Schulter.
    »Hör auf, Kristof«, mahnte sie sanft.
    »Sekunde, Augenblick noch, gleich«, entgegnete ich hastig und schrubbte ein bisschen schneller. Eine Bürste wäre genau das Richtige, dachte ich, und Elena rüttelte an mir.
    Hooooooaaan!
    Du wirst doch nicht bei einem Therapeuten landen?, fragte ich mich und senkte den Blick auf meine rot gescheuerten Hände und ließ ihn dann weiterwandern, den Blick, hinein in die Tiefe des vorbeiströmenden Wassers, und von irgendwo weit da unten blickte der kleine Affe zu mir zurück. Er nickte, und ich nickte, und dann sahen wir uns noch eine ganze Weile an, und als ich schließlich den Kopf hob, hatte sich etwas in mir gelöst, und … es war gut.
    Hoooaaan!, dröhnte es aus der Ferne über das Wasser, ein ungesunder, seltsam panisch klingender Zweiklang, gefolgt von einem vibrierenden Twoooonggggg wie die größte, längste, dickste Saite der Welt, und Ratso sagte: »Stahltrosse.«
    Wir alle starrten jetzt in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, starrten nichts sehend Löcher hinein in den grauen, wabernden Vorhang. Ratso im Heck, mit einer tiefen Furche auf der Stirn, Gazella neben ihm, ernst und konzentriert am Steuer, Jochen, der immer noch mit schwer arbeitender Bauchdecke über dem Gummiwulst hing, Scuzzi, eine Hand am Hinterkopf, die andere in seinen Taschen, auf der Suche nach irgendwas zum Rauchen, Jansen mir gegenüber, kopfschüttelnd, und Elena, die meine Hände unendlich vorsichtig mit ihrem Pulli trockentupfte. Wir alle starrten blind und unsere Ohren schienen ins

Weitere Kostenlose Bücher