Erbarmen
Georg Madsen geschrieben hatte, war zur Hälfte verschwunden. Und über all dem hing der Leichengestank. Alles in allem ein richtig beschissener Ort.
»Ich rede schon mal mit dem Nachbarn«, sagte Anker und wandte sich an den Mann, der seit einer halben Stunde wartete. Bis zur Veranda seines winzigen Hauses waren es höchstens fünf Meter. Wenn die Baracke abgerissen war, würde seine Aussicht unter Garantie wesentlich besser sein.
Hardy machte der Leichengestank nicht so viel aus. Vielleicht weil er alle überragte, oder vielleicht war einfach sein Geruchssinn besonders schlecht ausgebildet. Carl dagegen stöhnte. »Verdammt, das hält man ja nicht aus«, sagte er kurzatmig, als sie auf den Flur traten und die blauen Plastikslipper anzogen.
»Ich mach ein Fenster auf«, sagte Hardy und ging in das Zimmer neben dem engen Hausflur.
Carl stellte sich an die Tür, die zum Wohnzimmer führte.
Das Rollo war heruntergelassen, sodass nicht sehr viel Licht in den Raum drang. Aber es reichte doch, um den Toten zu sehen, der drüben in der Ecke saß - mit graugrüner Haut und tiefen Rissen zwischen den Pusteln, die den größten Teil seines Gesichts bedeckten. Aus der Nase sickerte eine dünne rötliche Flüssigkeit, das Oberhemd war zum Bersten gespannt über dem geschwollenen Oberkörper. Die Augen des Toten sahen aus wie Stearin.
»Der Nagel in seinem Kopf wurde mit einem Druckluftnagler in den Schädel geschlagen«, sagte Hardy von hinten, während er seine Baumwollhandschuhe anzog. »Liegt auf dem Tisch. Neben dem Akkuschrauber - der ist sogar noch an. Denkt mit dran, dass wir checken lassen, wie lange der so laufen kann, bevor er wieder aufgeladen werden muss.«
Sie hatten gerade mal ein paar Minuten dort gestanden und sich umgesehen, als Anker zu ihnen kam.
»Der Nachbar wohnt erst seit dem 16. Januar hier draußen«, sagte er. »Also seit zehn Tagen, und in der ganzen Zeit hat er den Toten nicht einmal vor der Tür gesehen.« Er sah sich im Zimmer um. »Der Nachbar unseres Freundes hier hatte sich auf die Veranda gesetzt und die globale Klimaveränderung genossen, sagt er. Da hat er den Gestank bemerkt. Er ist im Augenblick ziemlich erschüttert, der arme Kerl. Vielleicht sollte ihn sich der Amtsarzt nach der Leichenschau mal ansehen.«
Was danach geschah, konnte Carl später nur sehr vage beschreiben - nach allgemeiner Überzeugung war er ja auch gar nicht bei Bewusstsein gewesen. Aber das stimmte nicht. Er erinnerte sich nur zu gut an alles. Er hatte nur keinerlei Lust verspürt, darüber zu sprechen.
Er hatte gehört, wie jemand durch die Küchentür getreten war, aber nicht darauf reagiert. Vielleicht wegen des Gestanks, vielleicht hatte er geglaubt, einer der Techniker sei gekommen.
Sekunden später registrierte er aus dem Augenwinkel eine Gestalt in rot kariertem Hemd, die in den Raum stürzte. Kurz dachte er, er müsse seine Pistole ziehen, aber er tat es nicht. Die Reflexe blieben aus. Und schon spürte er die Schockwelle, als der erste Schuss Hardy in den Rücken traf - und im Fallen Carl mitriss und unter sich begrub. Der enorme Druck von Hardys Körper verdrehte Carls Wirbelsäule, ein Knie brach.
Dann kamen die Schüsse, die Anker in die Brust und Carls Schläfe trafen. Seine Erinnerung war vollständig klar: wie Hardy hyperventilierend auf ihm lag, wie Hardys Blut durch den Einmalanzug sickerte und sich auf dem Fußboden mit seinem eigenen vermischte. Und während sich die Beine des Täters an ihnen vorbeibewegten, dachte er die ganze Zeit, dass er versuchen müsste, an seine Pistole zu kommen.
Hinter ihm auf dem Fußboden lag Anker und versuchte sich umzudrehen. Plötzlich hörte man die Stimmen mindestens zweier fremder Männer aus dem kleinen Raum hinter dem Flur. Bisher waren sie von einem Täter ausgegangen. Aber vermutlich ... Wenige Sekunden später waren die beiden im Wohnzimmer. Carl hörte, wie Anker ihnen befahl, stehen zu bleiben. Später hieß es, Anker hätte seine Pistole gezogen.
Die Antwort auf Ankers Befehl war ein weiterer Schuss, der den Boden zum Beben brachte und Anker mitten ins Herz traf.
Das alles dauerte nicht länger als ein paar Sekunden. Die Verbrecher waren durch die Küchentür entkommen, und Carl rührte sich nicht. Er lag vollständig still. Nicht einmal als der Amtsarzt ankam, gab er ein Lebenszeichen von sich. Später sagten sowohl der Arzt als auch der Chef aus, sie hätten zuerst geglaubt, Carl sei tot.
Carl wirkte zwar lange wie bewusstlos, doch sein
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