1022 - Der Lockvogel
Keine Sperre. Keine Bewegungen. Nichts war abgetrennt oder durch Lichter gekennzeichnet. Sheen war irritiert. Das kannte er nicht.
Okay, die Kontrollen der Bullen waren ihm nichts Neues, dann aber wurden sie mit großem Aufwand durchgeführt. Das wußte er aus London. Hier lief es nicht so.
Ein einsames rotes Licht, das war alles…
Und Eddie Sheen fuhr darauf zu. Nicht nervös werden. Das Tempo beibehalten. Es wird alles klappen. Scheiße, warum habe ich auch gesoffen? Warum habe ich mich darauf eingelassen? Ich hätte nein sagen können, aber wer rechnet schon mit einer Kontrolle hier am Ende der Welt, wie es dem Großstadtmenschen Sheen vorkam.
Noch immer bewegte sich die Kelle. Er haßte sie schon jetzt. »Ja, verdammt – ja, ich komme schon!« Es wurde Zeit für ihn, das Tempo noch mehr zu reduzieren, und so ließ er seinen älteren Nissan allmählich ausrollen, bis er schließlich stand.
Eddie schnallte sich los. Dabei schaute er nach vorn. Er sah noch immer keinen Polizeiwagen und entdeckte auch keinen zweiten oder dritten Bullen.
Da war nur die einsame Kelle gewesen, die sich jetzt, wo er angehalten hatte, nicht mehr bewegte und im schrägen Winkel nach unten wies. Er nahm auch die Gestalt wahr, die die Kelle hielt. Dunkel gekleidet, eben wie ein Polizist.
Sheen war versucht, das Fernlicht einzuschalten, aber das ließ er bleiben, denn er wollte den Bullen auf keinen Fall verärgern. So etwas ging zumeist in die Hose. Außerdem wußte er nicht, ob im nahen Gebüsch nicht noch Kollegen lauerten. Rechnen mußte man jedenfalls mit allem. Denen fielen immer neue Tricks ein.
Eddie hockte im Wagen und wartete. Die Scheibe hatte er heruntergedreht. Die Nachtluft tat gut. Sie verquirlte den rauchigen Mief innerhalb des Autos, aber sie schaffte es nicht, den Schweiß auf seinem Gesicht zu trocknen. Sogar in seinen dünnen, dunklen Haaren klebte er, die in Strähnen auf seinem Kopf lagen. So dunkel wie die Haare waren auch Eddies Augen. Jetzt allerdings hatten sie einen unsteten Blick angenommen, der ständig von einer Seite zur anderen irrte.
Eddie überlegte, welche Ausrede er sich einfallen lassen sollte. Zu einem Resultat gelangte er nicht, denn er war einfach zu sehr durcheinander.
Der Polizist trat auf seinen Wagen zu. Eddie ärgerte sich bereits über seinen Gang. Er schlenderte lässig heran, als hätte er alle Zeit der Welt für sich gepachtet. Er ging auch nicht direkt in das Scheinwerferlicht hinein, sondern bewegte sich an seinem Rand, so daß Eddie ihn nie so genau erkennen konnte.
Ruhig sein. Nichts anmerken lassen. Tief ausatmen, dann geht es dir auch besser. Keine Hektik. Einfach nur lässig wirken. Er lachte innerlich, denn in der Theorie hörte sich alles wunderbar an. Die Praxis sah leider anders aus.
Der Polizist hatte Eddies Nissan erreicht. Der Gummiknüppel schaukelte lässig an der linken Seite, und er schrammte durch die Bewegungen mit einem leisen Geräusch am Kotflügel entlang.
Die Mütze hatte der Bulle tief in die Stirn geschoben, so daß von seinem Gesicht kaum etwas zu erkennen war. Das wiederum ärgerte Eddie auch, der sich immer mehr in die Rolle des Opfers gedrängt sah, weil er ein schlechtes Gewissen hatte.
An der rechten Seite und auf der Fahrbahn blieb der Polizist stehen. Er tippte kurz gegen seine Mütze, beugte sich dann vor, und auch Eddie hatte seinen Kopf nach rechts gedreht, hielt den Mund aber sicherheitshalber geschlossen. Er wollte dem Typen nicht schon jetzt seinen Gin- und Bieratem entgegenschicken.
Der Polizist senkte den Kopf. Noch in der Bewegung schob er seine Mütze nach hinten, um das Gesicht freizulegen.
Eddie vergaß alles. Er öffnete den Mund. Sogar weiter als gewöhnlich, denn jetzt konnte er nur staunen.
Wer da neben seinem Wagen stand, war kein Polizist, kein männlicher, sondern – er wollte es kaum glauben, und aus seinem Mund drang ein krächzendes Lachen.
Es war eine Frau!
***
Eddie Sheen hockte auf dem Sitz wie festgeklebt. Was er hier erlebte, war einfach verrückt und für ihn nicht nachvollziehbar, obwohl es schon auf eine gewisse Art und Weise normal war, denn bei der Polizei arbeiteten nicht nur Männer; auch Frauen waren eingestellt worden. Die aber trugen Uniformen mit einem anderen Schnitt. Diese hier nicht. Sie war gekleidet wie ihr männlicher Kollege. Damit hatte Sheen seine Probleme. Er konnte zunächst einmal nichts sagen, auch dann nicht, als man ihn ansprach.
»Guten Abend. Ich bin Konstabler Kathrin Dill. Ich
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