Erdwind
ersten Menschen Untertan. Sie nahmen ihn mit in den Orakeltunnel und e r reichten lebend den Platz, wo sie den crog bauten. So b e richtet es uns die Legende.“ Er blickte Elspeth an. „Nun fr a ge ich mich!!!“
Er verstummte und saß so unbeweglich, daß nur die g e frorene Luft vor seinem Munde verriet, daß er noch am L e ben war.
„Warum bist du hier, Iondai? Hat Ashka dich so ve r wirrt?“
„Das Lied der Erde hat vorausgesagt, daß in der Verwi r rung der Tod liegt.“ Er wandte sich wieder zu dem Mädchen um. „Ich hatte es über mein eigenes Schicksal befragt.“
„Wie lange ist das her?“
„Viele Fackel-Zyklen, viele, viele Jahreszeiten … als ich noch jung war, grade erst zum Seher geweiht. Dein Freund Ashka hat auch nach seinem Schicksal gefragt, und die An t wort war nicht die richtige Antwort. Er ist zu früh gestorben und doch so, wie das Lied der Erde gesagt hat. Er muß in großen Schmerzen g e storben sein, in den Schmerzen der Verwi r rung. Ich verstehe es selbst nicht, und es sollte mir auch gleichgültig sein. Aber das ist es nicht. Euer ching und mein Lied der Erde – sie scheinen aneinanderzuprallen, mi t einander zu kämpfen, gegensätzliche An t worten zu geben, obwohl ich zuerst dachte, es sei die gleiche Antwort. Dieses ching, dieses … andere Orakel … es hat mich verwirrt.“
„Und in der Verwirrung liegt der Tod“, ergänzte Elspeth. „Glaubst du also, du kommst nicht wieder in den crog z u rück, wenn wir die Höhle erreicht haben?“
Iondai schwieg und starrte weiter nach oben, sein Gesicht war eisig in der bitterkalten Nacht, die Augen waren halb geschlo s sen.
Nach einiger Zeit schreckte ein tiefes Grollen Elspeth auf; doch das Geräusch verstummte so schnell, wie es geko m men war. „Das hörte sich an wie …“
„Ich habe es dir ja gesagt. Wir sitzen hier über dem Gang zum Lied der Erde. Tief im Felsen zieht es den Berg hinu n ter und unter dem Tal hindurch, bis es schließlich durch die Or a kelgrube weht.“
Wieder kam das Grollen, sehr tief, sehr weit weg, doch trotz der hohen Schneedecke deutlich hörbar.
„Und es kommt aus der Höhle?“
„Von unter der Höhle“, verbesserte Iondai. „Der Wind, der um das Gebirge weht, fängt sich in den Schluchten, und die Schluc h ten laufen zu einem einzigen Gang zusammen. Wenn der Luftzug unter der Höhle entlangfährt, geschieht etwas mit ihm; manchmal bläst er durch die Höhle selbst, manchmal we i ter durch den Gang bis zum crog. Daher kommt er auch so stoßweise …“
„Und du glaubst, etwas in der Höhle, etwas, das mit dem Er d wind zu tun hat, beeinflußt den Luftstrom?“
Iondai lachte. „Es gab eine Zeit, da habe ich … ja, da h a be ich genau das geglaubt. Irgendwie sei das Lied der Erde voll von der Kraft der Weitsicht, und aus seinem Nachklang könne ich die Zukunft des crog lesen. Ich war ganz zufri e den mit diesem G e danken, ganz zufrieden mit dem Glauben an die Naturkräfte meiner Welt und mit meiner bescheidenen Au f gabe, ihren Rat für uns einfache Menschen abzul e sen …“
„Und dann?“
Iondai sah sie forschend an, als zweifle er, ob er klug da r an täte, ihr noch mehr anzuvertrauen. Dann wandte er die Augen ab und blickte zu Boden. „Und dann kam Askha. Mit seinem ching, mit seinen seltsam … erschreckenden Ideen.“
„Verwirrung.“
„Verwirrung“, stimmte Iondai zu. „Und vielleicht Tod. Tod eines Glaubens, Tod eines Wächters. Es gibt so viele Wächter, Elspeth. Unsere Erdsänger sind die Kräfte solcher Wächter, die des Nachts durch den crog schweben. Der Wind in der Stimme des einen, Felsen und Pflanzen in den Stimmen anderer, und der Fluß, und die Wolken … alle sind sie Wächter unseres winzigen crog und leiten uns bei allem, was wir tun, bei der Jagd, beim Zweikampf. Doch der größte Wächter …“
Götter, dachte Elspeth, entschlossen, nicht vor diesem Wort z u rückzuschrecken. Er redet von Göttern … und ich habe gar nicht gedacht, daß der crog dergleichen hat. Wie vieles ist mir entgangen, weil ich nicht richtig hingesehen h a be!
„… der größte Wächter von allen: das Lied der Erde selbst, der Seher aller Zeiten und aller Geschicke.“
„Aber das Lied der Erde ist doch nicht tot“, wandte Elspeth ein. „Wir haben doch gehört, wie es die Leitung hinunte r weht.“
„Das ist nur Wind“, entgegnete Iondai. „Ashkas Orakel sprach nicht durch sein Buch, sondern durch seinen Verstand. Ich hatte das schon gemerkt, ehe er es mir
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