Erfindung der Violet Adams
für den Hut ist es jetzt im August ein wenig zu warm. Ein Sommerhut wäre sicher passender.«
»Oh, ich hatte mich schon so darauf gefreut, diesen Hut zu tragen, da Ashton ihn in London für mich gekauft hat – glauben Sie wirklich, dass es dafür zu warm ist?«
Violets offensichtliche Ernsthaftigkeit verwunderte Mrs Wilks. Seit ihrer Kindheit hatte Violet sie nicht mehr nach ihrer Meinung gefragt. Sie lächelte und griff nach dem Hut. Als Violet ihn ihr reichte, rieb Mrs Wilks den Filz zwischen den Fingern. Sie bemerkte, dass Violet den Hut wirklich gerne anziehen wollte, dass er ihr ein gutes Gefühl geben würde, und sie hasste es, ihr nicht uneingeschränkt recht geben zu können.
»Bestimmt wird es dir damit ein wenig zu warm, doch der Filz ist dünn. Dazu ziehst du am besten den grünen Mantel an und darunter das graue Reisekostüm.«
»Vielen Dank, Mrs Wilks«, sagte Violet und wandte sich wieder ihrem Schrank zu. »Wo ist es nur?«
Mrs Wilks seufzte erneut und half Violet beim Anziehen. Sie richtete ihr die Haare vor dem Spiegel der Frisierkommode, während Violet ungeduldig mit dem Fuß wippte. Doch als Mrs Wilks fertig war und beide Violet im Spiegel betrachteten, stellten sie zufrieden fest, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Violet machte sich nur selten so hübsch zurecht, doch wenn sie es einmal tat, verwandelte sich das schlaksige Mädchen mit den wilden Augen in eine elegante Dame.
Violet setzte den Hut auf und betrachtete ihr Spiegelbild. »Großartig«, sagte sie und meinte es auch so, denn obwohl sie sonst höchstens darauf achtete, sittsam auszusehen und keine Ahnung von Stoffen und Mode hatte, unterschied sie sich nicht von jeder anderen Frau, ja, von jedem anderen Menschen und genoss es, sich in schönen Kleidern zu sehen. Auch Mrs Wilks freute sich, wie elegant und erwachsen Violet aussah. Vielleicht hatte sie Mr Adams doch nicht enttäuscht in ihrem Versuch, aus dem kleinen Mädchen eine richtige Dame zu machen, auf die Mrs Adams stolz gewesen wäre.
»Komm runter, frühstücken«, sagte Mrs Wilks, »und zieh den Hut erst draußen auf.« Violet gehorchte und freute sich auf den aufregenden Tag, der vor ihr lag.
Ihr Bruder saß schon am Tisch mit einem Teller voll Ei, Toast und Bohnen. Er trug einen eleganten blauen Anzug und ein weißes Hemd und hatte sich eine Rose am Revers festgesteckt. Als seine Schwester eintrat, hätte er sie fast nicht erkannt und erhob sich in dem Glauben, ein Gast wäre gekommen. Doch als er ihr ins Gesicht sah, brach er in freudiges Gelächter aus.
»Sehe ich so lächerlich aus? Mrs Wilks, haben Sie mir einen Streich gespielt und mich als Clown verkleidet?«, fragte Violet besorgt.
»Nein, Schwesterherz, du siehst großartig aus, aber ich bin es einfach nicht gewohnt, dich in so eleganten Kleidern zu sehen.«
»Ich wollte den Hut tragen, den du mir geschenkt hast«, verteidigte sich Violet, während sie sich setzte, »und um ehrlich zu sein, sind diese Sachen gar nicht so unbequem. Das Korsett ist etwas enger als meine üblichen Sachen, doch dafür hält es den Rücken gerade. Und der Reifrock trägt sich weitaus angenehmer, als er aussieht.« Ashton setzte sich lächelnd wieder hin.
»Du wirst die schönste Frau in ganz London sein«, meinte er. Als Antwort streckte Violet ihm nur die Zunge heraus. »Nun, anscheinend können wir dich zwar wie eine Dame herausputzen, doch dein Benehmen lässt noch einiges zu wünschen übrig.«
Da sie zu nervös war, um etwas zu essen, knabberte Violet nur an einem Stück Brot mit Butter, ohne dem, was sie aß, große Aufmerksamkeit zu schenken. Wie konnte Ashton nur so lange frühstücken, wo er doch wusste, wie aufgeregt sie war. Sie trat ihn unterm Tisch.
»Schon gut«, sagte er und funkelte sie an. »Schon gut. Lass uns nach der Kutsche rufen und in die Stadt fahren.« Violet schoss wie eine lose Feder aus ihrem Stuhl hoch und rannte in ihr Zimmer, um ihre Sachen zu holen. Sorgfältig faltete sie die Bewerbung zusammen und verstaute sie in ihrer Handtasche, versteckt unter etwas Geld und einem Schal, sodass niemand sie sehen konnte. Dann eilte sie wieder nach unten zu Ashton, der gerade seinen Tee austrank. Sie stöhnte und ging in den Hof, um auf die Kutsche zu warten.
Das Wetter war heute viel schöner als am Vortag: Die Sonne schien hell über die idyllischen Hügel und Wälder. Der Garten von Mrs Adams leuchtete in grünen und violetten Tönen. Die Kutsche, die um die Ecke bog, war zwar noch schmutzig von Mr
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