Erfolg
und Nieren Marxisten sind. Warum redet er eigentlich diesem Saukerl ein Loch in seinen dicken Bauch, statt ihm den Dreck vor die Füße zu schmeißen?
Die gefräßigen Lippen des feisten Mannes, der fleischig und traurig vor ihm sitzt, öffnen sich auf einmal, sowie Pröckl in seinen technischen Darlegungen eine kleine Atempause macht, und der Chef sagt: »Hören Sie, lieber Pröckl, Sie haben mir doch seinerzeit von ihrem Freund Krüger gesprochen. Haben Sie ihn in der Zwischenzeit einmal gesehen?« Kaspar Pröckl weiß, daß der Herr von Reindl ein ungeheucheltesOberbayrisch spricht, aber auch heute, sooft er das gehört hat, überrascht ihn zunächst mehr noch als der Inhalt der Frage der Dialekt. Er schaut den Mann an, der massig, träumerisch vor ihm sitzt. Dann überlegt er, daß Johanna Krain ihm erst neuerdings wieder mitgeteilt hat, nach ihren Informationen könnten fünf Männer, jeder einzelne, den Mann Krüger aus dem Zuchthaus herausholen: der Kardinalerzbischof von München, der Justizminister Klenk, der alte Bauernführer und heimliche Regent Bichler, der Kronprinz Maximilian, der Baron Reindl. Er, Pröckl, hat seinerzeit schon den Reindl aufgefordert, zu intervenieren. Vergeblich. Was jetzt der andere mit seiner Frage will, ist ihm durchaus unklar. Vorsichtshalber erwidert er mit Grobheit: »Ich verstehe nicht, was das mit meinem Serienwagen zu tun hat.«
Reindl wundert sich jetzt selber, wieso er den Pröckl gerade dies gefragt hat. Er ist doch an dem Fall Krüger absolut desinteressiert. Hat nicht einmal der Krüger eine gewisse Äußerung getan von einem Dreipfennig-Medici ? Er trägt sie ihm nicht nach: allein wie kommt gerade der Dreipfennig-Medici dazu, dem Mann aus dem Dreck zu helfen?
Aber so ist es immer, wenn er mit dem jungen Pröckl zusammentrifft. Immer dann reizt es ihn, ein heikles Thema anzuschneiden. »Ich verstehe wenig von Auspuffgasen, lieber Pröckl«, sagt er nach einer kleinen Weile mit seiner hohen, fetten Stimme geradezu begütigend, »aber ich glaube Ihnen aufs Wort, daß Ihre Projekte gut sind. Bloß, Sie begreifen: ob es jetzt Sinn hat, dick zu produzieren, das ist nicht allein abhängig von der Vortrefflichkeit Ihrer Projekte. Was nun Herrn Dr. Krüger anlangt, Ihren Freund«, fuhr er undurchsichtig fort, »so erinnere ich mich, daß seinerzeit Sie mir zuerst von ihm gesprochen haben. Ich konnte Ihnen damals nichts Bestimmtes sagen. Es war schade, daß ich gerade um jene Zeit nach Moskau mußte. Mit Ihren Genossen kann man übrigens beim besten Willen keine Geschäfte machen, lieber Pröckl. Es ist zu anstrengend. Die Leute sind so doktrinär und so bäurisch schlau. Es ist da eine gewisse Ähnlichkeitmit unseren Landsleuten, lieber Pröckl.« Kaspar Pröckl beschaute aus seinen tiefliegenden, heftigen Augen die träumerischen seines Chefs. Er fand, daß dieser Mann eine bösartige Stirn habe, und beschloß, nichts für Martin Krüger zu sagen; denn es wäre bestimmt aussichtslos. Er schwieg also. Bis er plötzlich den Mann mit seiner hohen Stimme sehr liebenswürdig sagen hörte: »Wie ist das, lieber Pröckl, wollen Sie mir nicht einmal ein paar von Ihren Balladen zu lesen geben?« Pröckl lief rot an, fragte unmutig: »Woher wissen Sie?« Es stellte sich heraus, daß Herr von Reindl durch die Schauspielerin Kläre Holz wußte. Pröckl erwiderte nichts, wollte auf technische Dinge zurücklenken. Doch Herr von Reindl erklärte unvermutet herrisch, jetzt absolut keine Zeit mehr zu haben. Nicht einmal für Herrn Pröckls Balladen, fügte er mit geschmeidiger Höflichkeit hinzu. Kaspar Pröckl nahm an, daß das sogar Wahrheit war.
Er verabschiedete sich kurz, grob. Er ärgerte sich ein wenig über sich selber; denn er hätte die Stimmung des Reindl dazu benutzen können, den häufigen, dringenden Rat seiner Freundin, der Anni, befolgend, wenigstens etwas Praktisches, eine Gehaltserhöhung oder dergleichen, aus ihm herauszuschlagen. Mehr noch ärgerte er sich über den Reindl selbst, über seine fette, gelassen protzige Frechheit. Allein er konnte nicht umhin, sich zu sagen, daß bei allem Krampf hinter der fleischig traurigen Maske etwas stecke. Auch betrachtete er seinen Chef schon wegen seiner bayrischen Aussprache nicht ohne ein gewisses Wohlwollen. Während er das widerwärtig dekorative Büro verließ, gestand er sich ein, daß er im Fall eines Umsturzes den Fünften Evangelisten nur mit einem gewissen Bedauern an die Wand stellen ließe.
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Fundamentum
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