Sein mit Leib und Seele - Band 06
1. Der Preis der Lust
„Möge unsere Freundschaft auf dieser Grundlage aufbauen.“
Die Rosen sind wirklich wunderschön. Auf dem Zettel steht kein Absender, aber ich erkenne doch Charles' Stil. Lässig und mit Klasse. Alles, was ich an ihm liebe. Ich muss ihm unbedingt danken. Dieses Mal, ohne mich im Ton zu vergreifen. Ohne mich zu offenbaren und es zu übertreiben. Indem ich zeige, dass ich es zu schätzen weiß, aber auch sehr gut darauf hätte verzichten können. Indem ich eine ... lässige ... Einstellung annehme. Genau. Vor sechs Monaten hätte ich ihm bestimmt eine schmalzige E-Mail geschrieben, nach dem Motto: „Diese Nacht war die schönste in meinem Leben.“ Aber ich bin reifer geworden. Und auch wenn es stimmte, denn diese Nacht war wieder einmal großartig gewesen, so würde ich es ihm nicht mehr auf die Nase binden. Ein einfaches „Danke“ sollte genügen. Per SMS. Einfach und effizient, so, abgeschickt. Ich werde jetzt mein Leben als die junge, vergnügte Frau leben, die ich bin. Und nicht mehr fieberhaft auf seine Rückkehr aus Los Angeles warten. Oder es zumindest versuchen. Fangen wir mit der Arbeit an ...
„Mademoiselle Maugham, kann ich Sie kurz sprechen?“
Der verstaubte Mann hat mich mit meinem Nachnamen angesprochen. Es muss sich um eine ernste Angelegenheit handeln. Vielleicht habe ich die Akten des Kolloquiums über den Tristan als Prosawerk nicht ordentlich weggeräumt oder etwas noch Schlimmeres? Ich lächele und stelle mir den kleinen Fehler vor, der mir die Moralpredigt meines finsteren Vorgesetzten eingeheimst hat. Aber egal, ich habe das Gefühl, dass mich heute nichts treffen kann. Ich gehe mit einem Lächeln auf den Lippen in sein Büro. Er starrt auf einige Papiere auf seinem Schreibtisch. Er spricht so monoton wie immer, aber sein Gesicht ist gereizt und verzerrt.
„Mademoiselle Maugham, wir müssen uns von Ihnen trennen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht nach dem Grund dieser Entscheidung fragen. Uns sind einige Ihrer Aktivitäten auf dem Bibliotheksgelände zu Ohren gekommen. Aktivitäten, die ganz offensichtlich nichts mit dem zu tun haben, wofür Sie eingestellt wurden, und die zudem das Feingefühl eines Mitarbeiters verletzt haben. Diese Entscheidung tritt ab Beendung dieses Gespräches in Kraft.“
Ich werde knallrot. Natürlich werde ich ihn nicht nach dem „Grund dieser Entscheidung“ fragen. Ich habe sehr wohl begriffen, worauf er anspielte.
Wer hat uns wohl gesehen? Und warum wurde so lange damit gewartet, mich anzuschwärzen? Guillaume kann es nicht gewesen sein, er würde so etwas nicht tun. Monique? Chantal? Der verstaubte Mann selbst?
Ich weiß nicht, wie ich diese peinliche Unterhaltung beenden kann. Ja, natürlich, feuert mich doch! Ich werde keinen Einspruch einlegen, versprochen. Aber Papiere müssen unterschrieben werden, Stapel von Papieren. Diese Formalitäten scheinen mir ewig zu dauern. Ich bleibe über den Schreibtisch gebeugt und vermeide es sorgfältig, seinen Blick zu kreuzen. Kurz denke ich, dass es gut war, dass ich ein Höschen angezogen habe, und ich muss ein Kichern unterdrücken. Zum Glück hat er nichts bemerkt. Wie eine Diebin stehle ich mich davon, ohne irgendwem auf Wiedersehen zu sagen. Ich laufe wie ein Zombie in die Cafeteria, wo ich mich dann hinter eine bräunliche Suppe setze, die außer dem Namen nichts mit Kaffee gemein hat.
Ich wurde gefeuert. Ich, Muster-Studentin Emma Maugham, wurde bei meinem Bibliotheksjob gefeuert. Weil ich während meiner Arbeitszeit mit meinem Nachbarn im Untergeschoss Sex hatte. Das ist so surreal. Hätte man mir das vor sechs Monaten gesagt, wäre ich in lautes Gelächter ausgebrochen. Ich wäre vielleicht sogar schockiert gewesen. Jetzt bin ich einfach nur ... überrascht. Und sehr verärgert. Wie werde ich meine Miete bezahlen können? Mein reizender Vermieter wäre, das weiß ich, sofort bereit, auf die symbolische Summe zu verzichten, aber ich nicht. Ihm eine Miete zu zahlen, ist mein Rettungsring. Das erinnert mich daran, dass wir nicht zusammen sind und ich, trotz allem, nur seine Mieterin bin. Auch wenn ich die widersprüchlichsten Gefühle für ihn hege, so bleibt er doch ein Fremder. Ich brauche also einen neuen Job. An der Uni bin ich jetzt wohl unten durch. Oh! Mein Gott! Wenn dieser „Zwischenfall“ jetzt in meiner Akte notiert wurde. Wie ich den verstaubten Mann kenne, wird er eine altmodische und komplizierte Formulierung verwendet haben, um es darzustellen. Nach dem
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