Erfolg
lebhafter Schritt schien weniger gewollt. Seit der Ruhrbesetzung wuchsen die Geschäfte ins Märchenhafte, füllten sich mit farbiger Spannung, glichen den großen bewegten Bildern, die er liebte. Was war das: Kapitalismus? Ein Wort, ein leerer Begriff, eine Ziffer, hinter der kein Ding steht. Jetzt plötzlich wuchsen diesem Begriff Fleisch und Blut, jetzt plötzlich sah man, hörte man, schmeckte man, was das war: Kapitalismus. Jetzt plötzlich erwies sich der Sturz der Mark, trotzdem er nicht etwa von Profitmachern erdacht war, als genialer Trick, durch den Industrie und Landwirtschaft, durch den der Staat, der sie repräsentierte, mit einem ihre Schulden los wurden. Es war der Kapitalismus selber, der sich überschlug. Sonst eine bloße Idee, dem geschulten Nationalökonomen nur mittels Hilfsvorstellungen erfaßbar, erschien er jetzt in praller Sichtbarkeit: auch der Mann auf der Straße sah ihn mit bloßem Auge.
Was der Fünfte Evangelist sich unter Kapitalistischem System vorstellte, war, gemessen an der Vorstellung etwa seines Freundes Mr. Potter, ein Gemälde des Malers Peter Paul Rubens neben einer Zeichnung aus einem geometrischen Lehrbuch. Herr von Reindl, in seinem bildervernarrten Kopf, sah ein großes, zappelndes Ding, einen lebendigen Berg, dem immer neue Kratzer, Warzen, Nasen wuchsen und der Purzelbäume schlug über den Planeten hin.
Großartig war das, wie dieses wilde, kobolzende Gewese wuchs, tropisch, urwaldhaft. Das weiße Gesicht des Fünften Evangelisten mit dem strahlend schwarzen Schnurrbart verzog sich schmeckerisch. Begraben von dem Berg wurden dieKleinbürger, das Proletariat: die Geschäfte der Großen, seine Geschäfte, schossen ins Fleisch wie nie zuvor.
Dabei ging das Ganze automatisch. Man mußte nur die Hand ausstrecken, schon füllte sie sich mit Gold. Gewiß, im Westen die Werke, die Fabriken lagen still; doch den Ausfall bezahlte das Reich. Das Reich, damit die Ruhrindustrie durchhalten könne, gab Kredite. Riesige Kredite, zurückzuzahlen in wertlosen Banknoten: Geschenke. Ein Strom von Geld überschwemmte die nicht vielen Besitzer der Gruben, Zechen, Hochöfen, Bergwerke. Gesegneter Reindl, der du beizeiten dein Teil gesichert hast. Man mußte klaren Kopf behalten, das Geld unterzubringen, das Fließende zu verwandeln in neuen Besitz, nette Werke, neues Land. Wohin mit all dem Geld? Man konnte eines der deutschen Länder kaufen, und es wurde nicht weniger. Wenn die Kollegen an der Ruhr ein bißchen ins Gefängnis gingen, sie konnten’s mit geschwellter Brust: das Vaterland bezahlte den Märtyrern gute Zinsen.
Der Fünfte Evangelist war für eine solche Zeit der gegebene Mann. Er war immer unterwegs, in Paris, in London, in Berlin, in Prag. Es galt, die europäischen Wirtschaftsprovinzen neu zu teilen. Die Politiker hielten Reden: gelenkt wurden sie aus den Arbeitszimmern der Geschäftsmänner. Und dort, am Konferenztisch, saß Herr von Reindl.
Verschwenderisch streute er, wenn er in München war, Geld um sich. Nährte, kleidete, rüstete, mit seinem Namen im Dunkeln bleibend, die Wahrhaft Deutschen. Rupert Kutzner, wenn sein Wagen den des Fünften Evangelisten kreuzte, ließ langsamer fahren, grüßte abgehackt, mit militärisch studentischem Zeremoniell, ein großer Mann einen andern.
Auch Herrn Hessreiter, durch mancherlei Kanäle, erreichte der Strom der Kredite, die die Regierung der Ruhrindustrie schenkte. Ein Wirbel von Besitz platschte unvermutet in dickem Schwall über ihn herein. In Luitpoldsbrunn, in seiner Villa in der Seestraße ging er auf und ab mit weiten Armbewegungen, erzählte Frau von Radolny von der unverhofften,unfaßbaren Fülle. Dunkel deutete er an, wie er den Strom mitgelenkt habe. Katharina blieb gelassen, äußerte wenig. Man tue wohl am besten, meinte sie, den unverhofften Segen zu sichern, daß er nicht ebenso unversehens verrinne.
Paul Hessreiter lachte. Das war ein Rat für seine Spezln im Herrenklub. Die mochten, soweit sie von dem Segen abbekommen hatten, ihn festlegen in gutem, auswärtigem Geld. Ein Paul Hessreiter gab es nicht so simpel. »Wenn der Mut in der Brust seine Spannkraft übt«, sang in ihm jener Vers des Königs Ludwig des Ersten. »Ein königlicher Kaufmann«, sang es in seinem Hirn. Große Bilder, phantastische Vorstellungen überwältigten ihn. Ein Gemälde vor allem, das er schon als Knabe bewundert hatte, wollte nicht aus seinem fleischigen Kopf, das Bild eines mächtigen Kaufmanns der Renaissance, eines Fugger oder
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