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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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Sie dieses Gefühl? Können Sie es jetzt nachvollziehen?«
    Natürlich kannte der Kommissar dieses Gefühl. Und manchmal, zu Beginn seiner Karriere, hatte es ihn auch noch in Rage versetzt. Aber er hatte sich im Laufe der Zeit abgewöhnt, darüber nachzudenken. Er war nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Verbrechensbekämpfung und er gab sein Bestes, dass dieses kleine Rädchen wie geschmiert lief. Alles andere war nicht seine Sache. Letztlich oblag es der Gesellschaft, die Normen festzulegen, nach denen die Strafen bemessen wurden. Und dieser gesellschaftliche Konsens war einem steten Wandel unterworfen. Durften Kinder früher von ihren Eltern ungestraft misshandelt werden, so war nun sogar schon eine Ohrfeige verboten. Ein Fortschritt, sicherlich, aber wer garantierte, dass es nicht auch wieder in die andere Richtung gehen würde?
    Diese Wandelbarkeit des Gerechtigkeitsbegriffes schien der Richter aber nicht akzeptieren zu wollen: »Es hat mich krank gemacht, verstehen Sie? Ich bin der Meinung, man kann einen Rechtsbruch nicht absolut sehen und sanktionieren. Es kommt immer darauf an, welchen Schaden jemand durch diesen Rechtsbruch erleidet. Aber darum kümmert sich das Gesetz einen Dreck. Schlimmer noch: In bestimmten Fällen wird das Gesetz zum Komplizen. Was glauben Sie zum Beispiel, ist eine intakte Gesundheit wert? Meinen Sie nicht, die wäre höher anzusiedeln als ein materiell erlittener Schaden? Sofern aus dem keine Gesundheitsschäden resultieren, versteht sich. Unser Rechtssystem sieht das aber oft genug anders. Glauben Sie, es kann eine Entschädigung für die seelischen Höllenqualen geben, die ein Vergewaltigungsopfer durchmacht? Nein. Und kann dem Täter keine Tötungsabsicht nachgewiesen werden und war er vielleicht auch noch betrunken, dann hat er nicht viel zu erwarten. Aber das Opfer, mein Lieber, das Opfer führt ein anderes Leben. Es wird immer Opfer bleiben. Und dagegen musste ich etwas tun.«
    Der Kommissar schüttelte nur den Kopf. Ihm fiel wieder das Bild im Gericht ein: Willkür und Blutgericht wären die Folgen, wenn sich jeder selbst zum Richter berufen würde.
    »Ich würde ja gerne sagen, dass Sie mir Leid tun, aber eigentlich tun mir nur Ihre Opfer Leid. Ist Ihnen nicht klar, dass Sie selbst zum Täter geworden sind?«
    »Ach hören Sie doch auf. Das waren die Täter, nicht ich, nicht wir.«
    »Herrgottnochmal, Sie sind krank, Hartmann!«
    »Ich würde es bevorzugen, wenn Sie in meiner Gegenwart nicht fluchen.«
    Kluftinger war so perplex, dass es ihm kurzzeitig die Sprache verschlug. Das war nun wirklich der Gipfel der Bigotterie.
    »Glauben Sie im Ernst, dass Gott Ihre Taten gutheißt?«, fuhr er ihn an, wobei er ihm so nahe kam, dass der seinen Atem spüren konnte.
    »Sie verstehen es immer noch nicht, oder? Wie kann ich es Ihnen erklären, damit Sie es mit Ihrem schlichten Gemüt erfassen können? All das, was wir getan haben, haben wir als Werkzeuge Gottes getan.«
    ›Werkzeuge Gottes‹, der Mann redete wie ein Inquisitor aus dem Mittelalter.
    Dann lächelte er bitter. »Sie begreifen es ja doch nicht … «
    »Reden Sie, ich möchte es verstehen.«
    »Es waren kleine Zeichen, Puzzleteile, wenn Sie so wollen, die sich zu einem Bild zusammengefügt haben. Und am Ende war alles klar.«
    Kluftinger sagte nichts. Er wollte, dass Hartmann weiter erzählte.
    »Meine Frau war schon immer sehr gläubig, ganz im Gegensatz zu mir. Auch ich war einmal ein arroganter Jurist, der sich mit Winkelzügen behalf. Aber als dieser schreckliche Vorfall passiert ist, da habe auch ich zum Glauben gefunden. Gott hat uns Kraft gegeben. Wofür, das wussten wir damals natürlich noch nicht. Und dann kamen die Zeichen.«
    Strobl sah seinen Chef fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern.
    »Wissen Sie, wie oft ich an diesem Gemälde in der Residenz vorbeigegangen bin? Fiat Justitia, dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich bin mir auch sicher, dass Sie nicht wussten, dass es einen Kemptener Fürstabt gegeben hat, der ›von Brentano‹ hieß. Auch der ist auf dem Gemälde, auch ihn sah ich jeden Tag. Und dann, eines Tages, der Fall Sutter. Eine alte Frau – ein Opfer, das aus Gram gestorben ist. Sie können sich vorstellen, dass ich wie elektrisiert war, als ihr Sohn, der Brentano, dem Sie dank Ihres Spürsinns einen Aufenthalt in Untersuchungshaft beschert haben, im Gerichtssaal plötzlich von der göttlichen Gerechtigkeit anfing. Ich wusste, dass die Worte eigentlich mir

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