Ohne Skrupel
München, 30. April 2010
7:58 Uhr Er war nicht im
Zeitplan! Und das mochte er ganz und gar nicht. Es war schlichtweg unakzeptabel
und durfte einem Profi wie ihm nicht passieren! Seine Aktionen wurden immer
genauestens vorausgeplant. Schon seit zwei Stunden sollte er fertig sein und
das Gelände verlassen haben. Mit jeder Minute stieg die Gefahr, entdeckt und
womöglich verhaftet zu werden. Vor allem hasste er unnötigen, zusätzlichen
Kollateralschaden, und auch der wurde von Minute zu Minute wahrscheinlicher.
Der gesamte Auftrag war nicht so gelaufen wie ursprünglich vereinbart. Die
Sache war nun viel größer geworden als gedacht und war kurz davor, sich zu
einer gewaltigen Katastrophe zu entwickeln. Fast die ganze Nacht hatte er
gebraucht, um die benötigten Informationen zu bekommen. Der Kerl war
unglaublich leidensfähig und wollte nicht mit dem Versteck herausrücken. Und nun
musste er auch noch improvisieren! Die letzte Anweisung lautete: „... dann
zerstören Sie alle elektronischen Daten vollständig und eliminieren Sie ihn!“
Er dachte bei „elektronischen Daten“ an Dateien auf einem PC oder ein PDA, aber
nicht gleich an ein ganzes Rechenzentrum, noch dazu war dies in einem
zugangskontrollierten Bereich, inklusive diverser Feuerlöschsysteme und
direktem Alarm-Anschluss zur Feuerwehr.
Als Profi bestand er
immer auf 50 % Vorauszahlung. Aber in diesem Falle musste ER vorausleisten,
sogar sehr viel vorausleisten! Zusätzlicher Kollateralschaden, erheblicher
Mehraufwand. Normalerweise unakzeptabel, da unprofessionell! Bezahlt worden war
er unter anderem für die Beschaffung der Information: „Finden Sie heraus, wo er
die Dateien versteckt hat und dann zerstören Sie sie!“ Diesen Teil seines
Auftrages hatte er bereits um 3:00 Uhr erfüllt, es war harte Arbeit, wenngleich
mit persönlichem Spaßfaktor als Bonus. Andererseits kannte er seinen
Auftraggeber und er war sich sicher, irgendwie an sein zusätzliches Geld zu
kommen. Denn sein Auftraggeber wusste ganz genau, dass ein „Nichtbezahlen“ sehr
nachteilige Folgen für die eigene Gesundheit und sein Leben haben würde. Sinn
für Humor gehörte nicht in das Repertoire eines Profis.
Endlich waren die Paletten
mit Alkohol einsatzbereit. Das Ganze lief absolut nicht optimal. Der
mitgebrachte Sprengstoff war normalerweise für einen kleinen Safe ausreichend.
Außerdem war er kein Spreng-Experte und konnte nicht garantieren, ob das
geplante Feuerwerk ausreichte, um „alle elektronischen Daten vollständig zu
vernichten“. Er war sich auch nicht sicher, ob die Magnetspule irgendeine
Wirkung auf die Datenlöschung haben würde. Bei einem PC würde das wohl reichen,
aber bei Großrechnern? Egal, er hatte keinerlei Alternativen und musste
improvisieren.
Um 8:12 Uhr ging ein
großer, sportlicher Mann mit müden, aber brutalen Gesichtszügen in die
Werkskantine und setzte sich ans Fenster, mit konzentriertem Blick auf das
Rechenzentrum.
Um 8:16 Uhr erschütterte
eine heftige Explosion das Gebäude mit dem Rechenzentrum. Sofort ging der
Feueralarm los und kurz darauf wurden die Werkstore für die Einsatzfahrzeuge
der Feuerwehr geöffnet.
Um 8:32 Uhr verließ ein
großer, sportlicher Mann mit brutalen Gesichtszügen und umgehängter Tasche das
Werksgelände gegen den Strom der hereinströmenden Helfer und Gaffer.
Es brach die Hölle los!
Kapitel I
Rückblicke
Sommer 2008
Giovanni Paul Davide Santa Cruz hatte
seinen ersten Arbeitstag in München. Neuer Job, neues Land, neues Leben! Die
vergangenen sechs Wochen waren sehr arbeitsreich und hektisch. Bewerbungen,
Vorstellungsgespräche, Wohnungssuche. Zum Glück konnte er bei seiner Tante
wohnen und hatte damit Stabilität mit fester Adresse und Familienanschluss. Es
war alles gut, nein sogar sehr gut gelaufen. Giovanni hatte sich bei zehn
Firmen beworben und tatsächlich zehn verbindliche Jobzusagen erhalten. Das
waren noch Zeiten!
Als
Wirtschaftsinformatiker mit ausgezeichneten Zeugnissen und Referenzen schien er
ein sehr begehrter Mann für die deutsche Informationstechnologie (IT) zu sein.
Es waren ihm ungefragt auch einige Managementpositionen oder Jobs vom Technical
Pre-Sales bis zum Programmierer angeboten worden. Er hätte sofort bei
Microsoft, IBM, HP oder einigen großen und namhaften Internetfirmen anfangen
können. Aber nein! Er hatte sich ganz bewusst dagegen entschieden! Giovanni
Paul Davide Santa Cruz war ganz konkret auf der Suche nach einem
„langweiligen“, wenn auch gut
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