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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Schneider
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hat mich vorhin angerufen und gefragt, ob sie heute Nachmittag eventu ell die Kinder für eine Stunde zu uns bringen könnte. Ich habe natürlich sofort zugesagt, ist ja normalerweise kein Problem für uns. Mein Mann hat Urlaub. Wir wollen erst nächste Woche ins Allgäu fahren. Sie wissen ja, die Pension in Rettenberg, wo wir schon letztes Jahr waren.«
    Ich nickte und nickte und gab ab und zu wohl dosiert ein ›Ja‹ von mir. Wenn Frau Ackermann anfing zu erzäh len, sollte mal jemand vom Guinnessbuch der Rekorde zuhören und mitzählen. Mich wunderte es immer wieder, wie diese Frau es schaffte, den Sommer ohne Sonnenbrand auf der Zunge zu überstehen. Irgendwann schaffte ich es aber, ihren Wortschwall zu stoppen.
    »Tut mir leid, Frau Ackermann, dass ich Sie unterbre chen muss. Leider muss ich gerade in eine wichtige Be sprechung. Ist was mit den Kindern?«
    »Ach so, ja klar. Entschuldigen Sie bitte. Mein Mann, Sie wissen ja, der hats doch so im Kreuz. Das ist jetzt schlimmer geworden, er kann nicht mal mehr alleine Auto fahren.«
    »Frau Ackermann, bitte!«
    »Ja, ja, er hat jetzt für heute Nachmittag einen Termin beim Arzt bekommen und ich muss ihn dort hinfahren. Ich wollte Ihrer Frau Bescheid sagen, nicht dass sie dann bei uns vor verschlossener Tür steht. Ich konnte sie aber nicht mehr erreichen. Könnten Sie das bitte regeln oder vielleicht ein bisschen früher nach Hause kommen?«
    Es war wie verhext. Die Gegenwart rannte immer wei ter in die Zukunft und die Zukunft kam immer näher zur Gegenwart. Mir blieben nur noch wenige Stunden.
    Ich beendete das Gespräch, ohne zu wissen, ob Frau Ackermann dies überhaupt registriert hatte. Ich stellte mir vor, wie sie immer noch in den Hörer sprach.
    Ich ließ den Stapel Akten auf meinem Schreibtisch un berührt, schnappte mir meine Einsatztasche mit den wich tigsten Utensilien und verließ das Büro.

3
    Auf dem Weg zu Siegfried nach Limburgerhof überlegte ich mir, ob ich noch schnell den Discounter an der Ecke aufsuchen sollte. Dann erinnerte ich mich, in welchem Schlamassel dies das letzte Mal geendet hatte. Fünf Stun den sollte man wirklich weder Joghurt noch Erdbeeren und erst recht keinen Eiersalat im Kofferraum liegen las sen. Zumindest nicht bei diesen Temperaturen. Kollegen empfahlen mir damals allen Ernstes, dass ich den entstan denen Geruch nur mit ein paar Spritzern Buttersäure wie der neutralisieren könnte.
    Beiderseits der Landstraße standen die Felder zur ersten Ernte bereit. Die teils sandigen und teils lehmigen vorder pfälzischen Äcker waren prädestiniert für einen vielfälti gen Gemüseanbau. Nur circa 20 Kilometer westlich von hier befand sich zwar eines der größten Weinanbaugebiete Deutschlands, hier in der Mitte der Rheinebene hatten die Weinreben allerdings keine Chance. Gemüse wie Kartof feln, Spargel und Rettich waren dominierend. Felder, deren Ende man von der Straße nur erahnen konnte, wurden bis zur Ernte an trockenen Tagen bewässert. Die Wasserlei tungen lagen wie gelähmte Riesenschlangen zwischen den einzelnen Beeten. Sogar einen eigenen Beregnungsverband hatten die Gemüsebauern gegründet, um der ungeheu ren Nachfrage nach dem Oxid des Wasserstoffs Herr zu werden. Nicht immer waren die automatischen Beregner korrekt eingestellt, wie ich aus eigener Erfahrung wusste.
    Besonders auf Landstraßen konnte man von einer sekun denlangen kalten Dusche durchs offene Fahrerfenster un angenehm überrascht werden. Mit der Zeit hatte ich aber ein Gefühl dafür bekommen und hatte stets ein Augen merk auf nasse Flecken, um noch rechtzeitig das Fenster schließen zu können.
    Fast jede Gemeinde hatte ihr eigenes Gemüsefest ent wickelt. Und wenn es keine gemeindetypisch prägende Gemüsesorte gab, so kreierte man halt eine Feier wie das Speyrer Brezelfest oder das Frankenthaler Strohhutfest. Nur die wenigsten wissen, dass die Mehrzahl dieser Feste während des Dritten Reiches aus der Taufe gehoben wur de, um das Nationalbewusstsein der Bevölkerung zu stär ken. ›Rettich aus Schifferstadt – Rettich für das Deutsche Volk‹, so oder ähnlich lauteten vermutlich die damaligen Werbesprüche. Als ich durch Limburgerhof fuhr, erinnerte ich mich daran, dass diese Ortsdurchfahrt bis vor gut 30 Jahren zur B 9 gehörte und schon damals der Lärm die Anwohner nervte. Kaum vorzustellen, dass sich heute der gesamte Verkehr durch diesen Ort zwängen müsste. Am Burgunderplatz vorbei bog ich am Kreisel Richtung Mut terstadt ab und fuhr die

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