Ernteopfer
Doch für das, was er mir jetzt sagte, hasste ich ihn, auch wenn er nichts da für konnte.
»Servus Reiner, man hat dich schon überall gesucht. Das Einsatzteam ist bereits im Sitzungszimmer und wartet auf dich. Ach ja, deine Frau hat vor 20 Minuten angerufen. Sie hats bei dir auf dem Handy probiert, du bist aber nicht drangegangen. Ich soll dir ausrichten, dass sie die Kinder heute eine Stunde früher bringt als ausgemacht. Falls du noch nicht daheim bist, gibt sie Paul und Melanie bei den Nachbarn ab.«
Je weiter der Tag fortschritt, desto tiefer fiel ich in ein Loch. Deswegen war also Stefanies Handy vorhin be setzt gewesen. Wirre Gedanken kreisten mir durch den Kopf. Sollte ich den Fall abgeben oder mich krankmelden? Ne, Krankmelden ist Kacke, dann kann ich mit meinen Kindern nicht weg und zu Hause bleiben war irgendwie blöd.
Gerhard zog mich regelrecht in Richtung Sitzungszim mer. Ich hatte keine Gelegenheit, in meinem Büro vorbei zuschauen. Vielleicht war das besser so.
»Hallo Chef«, begrüßten mich drei weitere Kollegen, als wir im Sitzungszimmer ankamen. Deutlich bemerkte ich ihr unterdrücktes Grinsen, als sie die Limonadenfla sche in meiner Hand sahen.
»Hallo«, entgegnete ich knapp, während ich mich setz te. »Wie weit seid ihr?«, wandte ich mich an Jutta.
Jutta Wagner war unsere gute Seele. Sie organisierte den ganzen internen Kram, führte Protokolle und übernahm die Gesprächsleitung der Teamsitzungen. Jedenfalls dann, wenn ich keine Lust dazu hatte. So wie heute.
Mit ihren rot gefärbten Haaren entsprach sie zwar eher dem gängigen Klischee einer Politesse, ihre eindrucksvol len und prägnanten Gesichtszüge sagten aber jedem, dass er sich in Acht nehmen musste. Und das galt nicht nur für Männer. Ihre autoritär geleiteten Sitzungen waren zwar gefürchtet, aber beliebt. Beliebt deshalb, weil sie sachlich und ohne Wiederholungen die zu besprechenden Punkte durchzog, was jedes Mal einen gewaltigen Zeitvorteil mit sich brachte.
»Die Spurensicherung ist noch eine Weile beschäftigt. Ob organische Stoffe dabei sind, die nicht vom Opfer stammen, erfahren wir erst am Montag. Bisher konnte nichts Relevantes gefunden werden. Der Fundort ist üb rigens mit dem Tatort identisch, das wurde inzwischen festgestellt. Die Obduktion ist ebenfalls erst für Montag angesetzt. Die Kollegen wollten für uns keine Sonder schicht einlegen und haben auf unser Drängen hin mit der Gewerkschaft gedroht.
Dr. Metzger hat sich zwar angeboten, ich denke aber, dass es ganz in deinem Sinne war, dass wir darauf verzich tet haben. Und das Ausgrabungsteam wird noch heute im Laufe des Tages durchleuchtet, mal sehen, was uns unser Computer über diese Sandbuddler sagt.«
»Danke, Jutta, für diesen Überblick. Überprüft bit te noch die Bewohner der beiden Aussiedlerhöfe. Einen durfte ich bereits kennenlernen. Passt auf, der hat einen Hund. Dann brauchen wir noch eine Auskunft über alle Schnellzüge, die in der fraglichen Zeit am Tatort vorbei gefahren sind und am besten auch noch über die S-Bah nen auf der alten Strecke. Gerhard, mir wurde berichtet, dass auf dem Parkplatz bei den Aussiedlerhöfen morgens täglich gegen 9 Uhr ein Treffen stattfindet, höchstwahr scheinlich sind es Polen. Ein älterer VW-Transporter aus dem Landkreis soll dabei eine bedeutende Rolle spielen. Könntest du das bitte überprüfen? Vielleicht wurde um diese Uhrzeit zufällig eine Satellitenaufnahme gemacht, frag mal beim BKA nach.«
»Klar, Reiner, mach ich. Der Tote heißt übrigens Jakub Schablinski und kommt aus Wroclaw. Vorausgesetzt, To ter und Papiere gehören tatsächlich zusammen. Wir haben inzwischen auch seinen Arbeitgeber ausfindig gemacht, den Gemüsegroßmarkt S. R. Siegfried in Limburgerhof. Wir haben dich schon bei ihm angemeldet. Das war doch so in Ordnung?«
Ich nickte ergeben. Warum komme ich mir nur so fremdbestimmt vor?
»Okay, ich fahre da nachher hin. Für was stehen die Initialen S. R.?«
»Der Inhaber heißt Samuel Siegfried. Ich habe keine Ahnung, was das R. bedeutet. Du kannst ihn ja selbst fra gen. Viel Spaß dabei, am Telefon klang er jedenfalls wie ein arrogantes Arschloch.«
Zehn Minuten später war die Versammlung wieder auf gelöst. Das ist der Vorteil eines eingespielten Teams. Große Diskussionen und die Einteilung zu unliebsamen Jobs blei ben einem erspart. Jeder weiß, was zu tun ist. Ich ging in mein Büro. Das Telefon schrillte. Es war meine Nachbarin.
»Guten Tag, Herr Palzki. Ihre Frau
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