Eros und Evolution
zu gestalten und umzugestalten, doch wir verzichten darauf. Wir lösen uns bei der Regelung unserer Angelegenheiten nicht von den stets gleichbleibenden monotonen menschlichen Verhaltensmustern. Wären wir etwas wagemutiger, dann gäbe es Gesellschaften ohne Liebe, ohne Ehrgeiz, ohne sexuelles Verlangen, ohne Ehen, ohne Kunst, ohne Grammatik, ohne Musik, ohne Lächeln – und mit ebenso vielen unvorstellbaren Dingen an deren Stelle. Es gäbe Gesellschaften, in denen Frauen einander häufiger umbrächten als Männer, in denen alte Menschen für schöner gälten als Zwanzigjährige, in denen Reichtum es nicht ermöglichte, Macht über andere zu erwerben, in denen Menschen nicht ihre eigenen Freunde bevorteilten und Fremde zurücksetzten, in denen Eltern ihre eigenen Kinder nicht liebten.
Ich will damit nicht klagen – wie jene, die jammern »Man kann die menschliche Natur einfach nicht ändern« – und sagen, es sei ein sinnloses Unterfangen, Dinge wie die Rassendiskriminierung zu ächten, weil sie in der menschlichen Natur lägen. Gesetze gegen den Rassismus sind nicht wirkungslos, denn einer der ansprechenderen Aspekte menschlicher Natur ist die Tatsache, daß Menschen die Konsequenzen ihrer Handlungsweisen bedenken. Aber ich will damit sagen, daß wir selbst nach tausend Jahren strengster Anwendung von Gesetzen gegen den Rassismus nicht eines Tages schlagartig in der Lage sein werden, das Problem als erledigt zu betrachten und die Gesetze in der sicheren Gewißheit abzuschaffen, daß Rassenvorurteile nun der Vergangenheit angehören. Wir gehen – und das zu Recht – davon aus, daß ein Russe nach zwei Generationen totalitärer Herrschaft noch ein ebensolcher Mensch ist wie sein Großvater vordem. Weshalb aber tun die Sozialwissenschaften weiterhin so, als sei dies nicht der Fall: als sei menschliche Natur das Produkt von Gesellschaftsformen?
Hierbei handelt es sich um einen Fehler, den auch die Biologen eine Zeitlang gemacht haben. Sie glaubten, die Evolution schreite dadurch voran, daß die Veränderungen, die sich in einem Individuum im Laufe seines Lebens ansammeln, einander addieren. Diese Vorstellung war am deutlichsten von Jean-Baptiste Lamarck formuliert worden, aber auch Charles Darwin griff gelegentlich darauf zurück. Das klassische Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Sohn eines Schmieds, der demzufolge die von seinem Vater im Laufe des Lebens erworbenen Muskeln geerbt haben müßte. Heute wissen wir, daß Lamarcks Vorstellung falsch ist, denn Organismen werden nach einer Art Kuchenrezept geformt, nicht aber nach den Entwurfskizzen eines Architekten, und es ist schlicht unmöglich, durch eine Veränderung des Kuchens Informationen in das Rezept einzubauen. 2 Die erste wirklich fundierte Kritik am Lamarckismus entsprang der Arbeit des deutschen Darwin-Anhängers August Weismann, der seine Überlegungen in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu veröffentlichen begann. 3 Weismann stellte bei den meisten sich sexuell vermehrenden Organismen eine Besonderheit fest: Ihre Keimzellen – Ei und Spermium – bleiben ab dem Zeitpunkt ihrer Entstehung vom übrigen Körper getrennt.
Er schrieb: »Da nun – wie ihre Entwicklung beweist – ein tiefer Gegensatz besteht zwischen der Substanz oder dem Plasma der unsterblichen Keimzellen und der vergänglichen Körperzellen, so werden wir diese Tatsachen nicht anders auslegen können, als dahin, daß in der Keimzelle beiderlei Plasmaarten potentia enthalten sind, die sich nun nach dem Eintritt der embryonalen Entwicklung früher oder später in Form gesonderter Zellen voneinander trennen.« 4 Mit anderen Worten, nicht die Mutter ist unser Ursprung, sondern ihre Eierstöcke. Nichts von dem, was ihrem Körper oder ihrem Verstand im Laufe des Lebens widerfährt, kann unser eigenes Wesen beeinflussen.
(Wenngleich das, was die Mutter erlebt, natürlich die Entwicklungsbedingungen des Ungeborenen verändern kann. Drogen- und Alkoholmißbrauch der Mutter können dazu führen, daß das Kind mit irreparablen Schäden zur Welt kommt.) Wir werden sündenfrei geboren. Weismann wurde wegen seiner Ansichten zu Lebzeiten nur allzu häufig verspottet. Die Entdeckung der Gene jedoch, der DNA { * } , aus der sie bestehen, und der Geheimschrift, in der die Botschaft der DNA verschlüsselt niedergelegt ist, hat seine Überlegungen in jeder Hinsicht bestätigt. Das Keimplasma bleibt in der Tat vom übrigen Körper getrennt.
Erst in den siebziger Jahren wurde man
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