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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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es trotzdem! Es ist gut für dich.
Gut.«
    Sie sah mich mit großen Augen an. Ich mußte mich schwer beherrschen,
um nicht zu weinen.
    Sofie sah sich um, wie ein Tier, das nach einer Fluchtnische sucht.
Endlich kroch sie in den Kofferaum, und es war, als nehme sie Abschied von der
Welt.
    Meiner Geliebten das antun zu müssen. Ich weinte endlich, aber
stumm, die Staatssicherheit nahm es mit Humor. Man bat mich, nicht ohne Not
anzuhalten. Ich fuhr los, konnte kaum das Steuer halten, so verkrampft war ich.
Nie habe ich mich Sofie näher gefühlt. Nein, niemals. Ich weiß bis heute nicht,
wie es mir gelang, den abendlichen Leipziger Innenstadtverkehr zu bewältigen,
es dauerte unendlich lange, in gefühlter Zeit Stunden, in Wahrheit wohl nur
zwanzig Minuten, aber irgendwann waren wir am Stadtrand angekommen, irgendwann
ließen die Lichter nach und ich hielt an, in der Prärie. Öffnete den
Kofferraum. In welche Augen der Angst habe ich gesehen? Sie dachte sicher, daß
sie erschossen werden würde. Sie dachte es vielleicht weiterhin, selbst als ich
sie bat, neben mir Platz zu nehmen. Wir fuhren weiter, auf einer schlecht
beleuchteten Landstraße, ich glaubte, Musik könne die Situation entspannen, im
Cassettenrecorder lief Abbey Road von den Beatles, draußen fiel Nieselregen, der
nach und nach in dickflockigen Schnee überging, ich mußte sehr konzentriert auf
die Fahrbahn achten.
    »Wo fahren wir hin?« Sie war es, die das Schweigen brach.
    »Zur Grenze. Du mußt keine Angst haben. Wirklich nicht. In wenigen
Stunden bist du auf dem Gebiet der BRD.«
    »Das ist zu schön, um wahr zu sein.«
    »Es ist wahr.«
    »Und dann? Drüben? Werde ich verhaftet?«
    »Kann schon sein, aber nicht sofort. Also, ich meine: erstmal nicht.
Vielleicht nie. Das liegt an dir.«
    Merken Sie, wie ungeschickt ich mich ausgedrückt habe? Ich
überreichte ihr den Paß. Sie nahm ihn, öffnete ihn, las ihren Mädchennamen und
wußte nicht mehr, was sie denken sollte, nein, das ist meine Interpretation,
vielmehr: ich wußte nicht, was sie dachte, aber ihr entfuhr ein leises
Schluchzen, ihr wurde wohl endgültig klar, daß sie nicht erschossen werden
würde. Zumindest schien es nicht mehr ganz so wahrscheinlich.
    »Du bist Boris, nicht wahr? Ich hab dich gleich erkannt.«
    »Du hast ein gutes Gedächtnis.«
    »Du warst nie wirklich Taxifahrer, nicht?«
    »Nein.«
    Es entstand eine Pause, die Schneeflocken wirbelten durch meine
Gedanken, ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Nein, beschloß ich, ich würde Sofie
nicht sagen, wer ich war, jedenfalls nicht jetzt. Jetzt noch nicht. Sie sollte
ihre Entscheidungen treffen, ohne daß ich mich in ihr Leben mischen würde.
Drüben dann, ja, dann, dort, würde ich ihr ein Angebot machen, das war klar,
das verstand sich von selbst. Ein schlichtes Angebot ohne Bedingungen,
Verpflichtungen oder Hintergedanken. Sie mußte ja bei irgendwem unterkommen,
jedenfalls bis, an einem Ort ihrer Wahl, irgendwo in der Welt, etwas so
arrangiert sein würde, daß sie dort in Sicherheit leben konnte. Das war meine
Überlegung. Und dann, in einer Kurve, trat ich auf die Bremse und der Wagen
schlitterte, nicht weit, nicht schlimm, auf der Fahrbahn hatte sich Blitzeis
gebildet, wir kamen, wenn überhaupt, nur noch im Schrittempo vorwärts, und der
Schneefall wurde dichter.
    Stellen Sie sich vor, wir waren irgendwo in der Pampa, alles dunkel
ringsumher, sollten wir vielleicht in einem Dorf Zuflucht suchen? Mit Westauto?
Mit zwangsweise damit verbundenen Fragereien? Mit irgendwelchen tragischen Schicksalsschikanen,
die unsere Ausreise gefährden konnten? Ich hatte viel auf mich genommen und
viel erreicht. Drohte die Sache zu scheitern, weil der Novemberhimmel das
Wasser nicht halten konnte? Das war, wenn es Gott denn gibt, ein zu grausamer
Scherz. Ich erreichte eine Parkbucht und hielt den Wagen an.
    »Hat keinen Sinn, weiterzufahren, wir rutschen in den Graben.«
    »Und was machen wir nun?«
    »Warten?«
    Der Wagen war unglücklicherweise, nein, nicht unglücklicherweise,
sondern aufgrund meiner Dummheit, nicht vollgetankt, nur halb. Bis zur Grenze
hätte das Benzin locker gereicht, aber es würde nicht reichen, um über Nacht
den Motor laufen zu lassen. Und es war kalt, um die null Grad. Im Kofferraum
lagen Wolldecken, die holte ich. Währenddessen öffnete Sofie die Beifahrertür
und rannte los, durch einen verschneiten, tieffurchigen Acker. Zum Glück kam
sie nicht weit, stolperte, stauchte sich den Knöchel, ich konnte sie

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