JULIA EXTRA Band 0287
1. KAPITEL
Gino stand am Hotelfenster, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und blickte nachdenklich auf das Treiben draußen auf der Straße.
Er fragte sich, wo sie mittlerweile wohl lebte. Und ob sie verheiratet war.
Bei dem letzten Gedanken hielt er kurz den Atem an. Nein, er wollte nicht, dass sie verheiratet war.
Doch natürlich würde sie es sein. Eine Frau wie sie. Wunderschön und äußerst intelligent. Irgendein kluger Mann hatte sie sich bestimmt schon längst geschnappt. Mein Gott, es war zehn Jahre her! Wahrscheinlich hatte sie auch schon eine ganze Schar Kinder.
Als sein Handy klingelte, drehte er sich mit einem Ruck um. Er schaute auf die Uhr und eilte rasch zum Bett, wo er das Telefon auf dem Nachttisch hatte liegen lassen. Halb sechs. Hoffentlich war es die Detektei und nicht Claudia. Er wollte jetzt nicht mit Claudia reden.
„Gino Bortelli“, meldete er sich. In seiner Stimme schwang ein feiner, melodiöser italienischer Akzent mit.
„Mr. Bortelli?“
Erleichtert seufzte Gino auf. Es war eine Männerstimme! Der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung klang kurz angebunden.
„Hier ist Cliff Hanson von Confidential Investigations.“
„Freut mich, von Ihnen zu hören“, erwiderte Gino genauso knapp. „Was haben Sie herausgefunden?“
„Ich denke, wir haben die Miss Jordan Gray lokalisiert, nach der Sie suchen, Mr. Bortelli, auch wenn der Name nicht ganz so selten ist wie erhofft. Zurzeit gibt es in Sydney allerdings nur eine Miss Jordan Gray, die auf das genannte Alter und die Personenbeschreibung passt, die Sie uns gegeben haben.“
„Dann ist sie nicht verheiratet?“, fragte Gino, bemüht darum, nicht aufgeregt zu klingen.
„Nein. Immer noch Single. Keine Kinder. Und Sie hatten übrigens recht – sie ist Anwältin. Arbeitet für Stedley & Parkinson. Es ist eine amerikanische Kanzlei, die hier im Geschäftsviertel von Sydney eine Filiale führt.“
„Die kenne ich“, sagte Gino, den die Information fast aus der Bahn warf. Noch vor wenigen Stunden war er dort gewesen und hatte einen Vertrag unterschrieben. Mein Gott, er hätte ihr über den Weg laufen können!
„Wie wir gehört haben, ist sie der aufstrebende Star der Zivilrechtsabteilung. Vor Kurzem hat sie gegen eine große Versicherungsgesellschaft prozessiert – und gewonnen.“
Ein Lächeln stahl sich auf Ginos Gesicht. „Das ist sie.“
Jordan hasste Versicherungsgesellschaften. Ihre Eltern hatten nach einem verheerenden Sturm, der ihr Haus zerstört hatte, gegen ihre Versicherung geklagt, die sich auf eine obskure Klausel im Vertrag berief und die Zahlung verweigerte. Ihr Vater jagte die Gesellschaft durch alle Instanzen, was ihn den letzten Penny kostete, den er besaß. Als er auch noch die abschließende Berufung verlor, starb er an einem Herzinfarkt, der durch den Stress ausgelöst worden war, und hinterließ eine verzweifelte Frau samt Tochter.
„Haben Sie eine Adresse und Telefonnummer?“, fragte Gino.
„Eine Adresse. Aber noch keine private Telefonnummer. Anwälte wie Miss Gray stehen in der Regel nicht im Telefonbuch.“
„Geben Sie mir die Adresse“, sagte Gino und ging rasch zu dem großen Schreibtisch hinüber, wo er nach einem Kugelschreiber griff und die Anschrift auf einem Zettel notierte. Es handelte sich um ein Apartment in Kirribilli, einem der schicken Hafenviertel im Norden von Sydney, nahe der berühmten Brücke. Er faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in seine Brieftasche.
„Lebt sie allein?“, fragte er angespannt.
„Das wissen wir noch nicht, Mr. Bortelli. Wir sind erst seit ein paar Stunden an der Lady dran, deshalb kennen wir die Details ihres Liebeslebens noch nicht ausreichend. Über Internet und Telefon kann man außerdem nicht alle Dinge klären.“
„Wie viel Zeit brauchen Sie noch?“
„Wahrscheinlich nur noch ein paar Stunden. Einer meiner besten Leute wird sich heute Abend an Miss Gray ranhängen, wenn sie die Arbeit verlässt. Es ist uns gelungen, über ihren Führerschein an ein aktuelles Foto zu kommen. Im Moment hat mein Mitarbeiter den Eingang ihrer Kanzlei im Auge.“
Gino zuckte innerlich zusammen, wenn er daran dachte, wie sehr er damit in Jordans Privatsphäre eindrang. „Ist das wirklich notwendig?“
„Wenn Sie heute Abend noch erfahren wollen, ob die Lady einen Freund hat oder nicht, dann ja. Und Sie sagten, dass Sie es so schnell wie möglich wissen wollen.“
Was in der Tat so war. Am nächsten Morgen flog er bereits sehr früh
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