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als Jones sie hatte erschießen wollen und sie offenbart hatte, sie habe einen Onkel, der (a) sehr reich sei und (b) wisse, wie man Dinge über die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten schmuggle. Sie hatte mit weiterer Befragung gerechnet. Aber Jones war ein gründlicher Mensch, ein Mensch mit Eigeninitiative, ein Stratege. Zula hatte langsam begriffen, dass jeder Schritt, den er seither unternommen hatte, sich um Onkel Richard und die Möglichkeit gedreht hatte, ihn dazu zu benutzen, heimlich über die Grenze zu kommen. Die Einsatzzentrale, die er in dem Wohnmobil eingerichtet hatte, hatte – noch – nichts mit einem Massaker in einem Kasino in Las Vegas zu tun. Darum konnte man sich kümmern, wenn sie die Grenze überquert hatten. Das hier hatte alles mit Richard zu tun, und Schloss Hundschüttler war das Epizentrum.
Langsam wurde ihr Verstand aus den virtuellen Stecknadeln schlau, die auf die Karte gedruckt waren. Jede entsprach einem der Fotos, die Jones von ihrer Flickr-Seite ausgedruckt hatte. Nach mehreren Tagen in der Zelle brauchte sie ein Weilchen, um wieder in die internetbasierte Denkart zurückzufinden, in der sie den größten Teil ihres nacheritreischen Lebens verbracht hatte. Aber ihr fiel ein, dass sie einmal ein Handy gehabt hatte, und dieses Handy verfügte über einen eingebauten GPS -Empfänger und eine Kamera, und diese beiden Systeme konnten zusammenwirken; wenn man die Erlaubnis dazu gab – und sie war sich ziemlich sicher, dass sie das getan hatte –, versah das Gerät jedes Foto mit einer geographischen Länge und Breite, sodass man es später in eine Karte einarbeiten und sehen konnte, wo es aufgenommen worden war. Während des Besuchs im Schloss hatten sie und Peter an einigen Nachmittagen mit Quads und Schneeschuhen die Umgebung durchstreift. Die auf die Karten gedruckten Stecknadeln bildeten Brotkrumenspuren, die ihren jeweiligen Weg markierten, wobei jedes Mal, wenn Zula auf den Auslösebutton auf dem Display ihres Handys getippt hatte, eine Krume auf den Boden gefallen war.
Ihr Gesicht lief rot an, als hätte Jones sie bei etwas überaus Peinlichem ertappt.
Und dennoch war es zugleich sonderbar erfreulich, daran erinnert zu werden, dass sie einmal ein Leben gehabt hatte, zu dem Annehmlichkeiten wie ein Freund und ein Handy gehört hatten.
»Das meiste davon erklärt sich selbst, wenn man bereit ist, sich ein bisschen Gedanken darüber zu machen«, meinte Jones. »Auf diesem Schnappschuss zum Beispiel, wo Peter sich seine Schneeschuhe anzieht, sieht man im Hintergrund einen Berggipfel, der auf den unteren Hängen bewaldet ist, aber eine kahle Wand hat – ich vermute Geröll unter dem Schnee. Laut Zeitvermerk ist das Bild gegen Mittag gemacht worden – und tatsächlich kann ich auf dem Sitz des Quad die Reste Ihres Lunchs sehen. Die Schatten müssten daher in Richtung Norden zeigen. Und seltsamerweise sehen wir, wenn wir das Satellitenbild von Google betrachten – das offensichtlich im Sommer aufgenommen worden ist – an dieser Stelle einen Gipfel, dessen geröllbedeckte Wand der Nadel auf der Karte zugewandt ist, die mehr oder weniger südlich davon steckt. Es passt also alles zusammen. Die Webseite von Schloss Hundschüttler könnte kaum anschaulicher sein. Ich habe bereits die virtuelle Besichtigungstour mitgemacht und in der virtuellen Gastwirtschaft einen virtuellen Krug Bier getrunken. Virtuelles Bier ist nämlich die einzige Sorte, die mir als gläubigem Moslem erlaubt ist …« Jones war etwas weitschweifig geworden, vielleicht weil Zula ein bisschen brauchte, um sich aus dieser Mischung von zellenbedingtem Überdruss und dem Schock darüber herauszureißen, vertraute Orte und Gesichter so zur Schau gestellt zu sehen. Er schob ein Blatt über den Tisch zu ihr hin, dann rahmte er es mit zwei weiteren ein. Jedes zeigte ein Bild aus ihrem Handy. »Aber es gibt immer noch ein paar erklärungsbedürftige Rätsel. Was zum Teufel ist das?«, fragte er. »Wo es ist, weiß ich.« Er tippte auf eine Stelle auf der Karte, die einige Kilometer südlich vom Schloss lag und der ein Büschel von Stecknadeln entspross. »Aber was zum Henker ist das? Auf der Webseite des Schlosses wird es nicht erwähnt, und sogar WikiTravel schweigt sich darüber aus.«
»Es war eine aufgelassene Mine.« Zula hielt inne, leicht verblüfft vom Klang ihrer eigenen Stimme. Dann verbesserte sie sich: »Es ist eine aufgelassene Mine.« Sie hatte sich daran gewöhnt, sich ihr Leben und
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