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Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland

Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland

Titel: Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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gehabt in den letzten Tagen, Mama läßt sie endlich auch in Ruh mit ihren ewigen Quälereien, und wir haben ihr doch sicher nichts getan. Warum weint sie dann so?«
    »Ich kann es mir schon denken«, sagt die Ältere.
    »Warum, sag mir, warum?«
    Die Schwester zögert. Endlich sagt sie: »Ich glaube, sie ist verliebt.«
    »Verliebt?« Die Jüngere zuckt nur so auf. »Verliebt? In wen?«
    »Hast du gar nichts bemerkt?«
    »Doch nicht in Otto?«
    »Nicht? Und er nicht in sie? Warum hat er denn, der jetzt schon drei Jahre bei uns wohnt und studiert, uns nie begleitet und jetzt seit den paar Monaten auf einmal täglich? War er je nett zu mir oder zu dir, bevor das Fräulein zu uns kam? Den ganzen Tag ist er jetzt um uns herum gewesen. Immer habenwir ihn zufällig getroffen, zufällig, im Volksgarten oder Stadtpark oder Prater, wo immer wir mit dem Fräulein waren. Ist dir denn das nie aufgefallen?«
    Ganz erschreckt stammelt die Kleine:
    »Ja ... ja, natürlich hab ichs bemerkt. Ich hab nur immer gedacht, es ist ...«
    Die Stimme schlägt ihr um. Sie spricht nicht weiter.
    »Ich hab es auch zuerst geglaubt, wir Mädchen sind ja immer so dumm. Aber ich habe noch rechtzeitig bemerkt, daß er uns nur als Vorwand nimmt.«
    Jetzt schweigen beide. Das Gespräch scheint zu Ende.
    Beide sind in Gedanken oder schon in Träumen.
    Da sagt noch einmal die Kleine ganz hilflos aus dem Dunkel: »Aber warum weint sie dann wieder? Er hat sie doch gern. Und ich hab mir immer gedacht, es muß so schön sein, wenn man verliebt ist.«
    »Ich weiß nicht,« sagt die Ältere ganz träumerisch, »ich habe auch geglaubt, es muß sehr schön sein.«
    Und einmal noch, leise und bedauernd, von schon schlafmüden Lippen weht es herüber: »Das arme Fräulein!«
    Und dann wird es still im Zimmer.
    * * *
    Am nächsten Morgen reden sie nicht wieder davon, und doch, eine spürt es von der andern, daß ihre Gedanken das gleiche umkreisen. Sie gehen aneinander vorbei, weichen sich aus, aber doch begegnen sich unwillkürlich ihre Blicke, wenn sie beide von der Seite die Gouvernante betrachten. Bei Tisch beobachten sie Otto, den Cousin, der seit Jahren im Hause lebt, wie einen Fremden. Sie reden nicht mit ihm, aber unter den gesenkten Lidern schielen sie immer hin, ob er sich mit ihrem Fräulein verständige. Eine Unruhe ist in beiden. Sie spielen heute nicht, sondern tun in ihrer Nervosität, hinter das Geheimnis zu kommen, unnütze und gleichgültige Dinge. Abends fragt nur die eine, kühl, als ob es ihr gleichgültig sei: »Hast du wieder etwas bemerkt?« – »Nein«, sagt die Schwester und wendet sich ab. Beide haben irgendwie Angst vor einem Gespräch. Und so geht es ein paar Tage weiter, dieses stumme Beobachten und im Kreise Herumspüren der beiden Kinder, die unruhig und unbewußt sich einem funkelnden Geheimnis nahe fühlen.
    Endlich, nach ein paar Tagen, merkt die eine, wie bei Tisch die Gouvernante Otto leise mit den Augen zuwinkt. Er nickt mit dem Kopf Antwort. Das Kind zittert vor Erregung. Unter dem Tisch tastet sie leise an die Hand der älteren Schwester. Wie die sichihr zuwendet, funkelt sie ihr mit den Augen entgegen. Die versteht sofort die Geste und wird auch unruhig.
    Kaum daß sie aufstehn von der Mahlzeit, sagt die Gouvernante zu den Mädchen: »Geht in euer Zimmer und beschäftigt euch ein bißchen. Ich habe Kopfschmerzen und will für eine halbe Stunde ausruhen.«
    Die Kinder sehen nieder. Vorsichtig rühren sie sich an mit den Händen, wie um sich gegenseitig aufmerksam zu machen. Und kaum ist die Gouvernante fort, so springt die Kleinere auf die Schwester zu:
    »Paß auf, jetzt geht Otto in ihr Zimmer.«
    »Natürlich! Darum hat sie uns doch hineingeschickt!«
    »Wir müssen vor der Tür horchen!«
    »Aber wenn jemand kommt?«
    »Wer denn?«
    »Mama.«
    Die Kleine erschrickt. »Ja dann ...«
    »Weißt du was? Ich horche an der Tür, und du bleibst draußen im Gang und gibst mir ein Zeichen, wenn jemand kommt. So sind wir sicher.«
    Die Kleine macht ein verdrossenes Gesicht. »Aber du erzählst mir dann nichts!«
    »Alles!«
    »Wirklich alles ... aber alles!«
    »Ja, mein Wort darauf. Und du hustest, wenn du jemanden kommen hörst.«
    Sie warten im Gang, zitternd, aufgeregt. Ihr Blut pocht wild. Was wird kommen? Eng drücken sie sich aneinander.
    Ein Schritt. Sie stieben fort. In das Dunkel hinein. Richtig: es ist Otto. Erfaßt die Klinke, die Tür schließt sich. Wie ein Pfeil schießt die Ältere nach und drückt sich an die

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