Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland
und in dessen Reden manchmal geheimnisvoll wie ferne Standbilder die Erinnerung an zwei Frauen aufleuchtete, die mit einem Augenblick seiner Jugend dauernd vereint waren. Es ist lange her, sehr lange, daß ich mit ihm sprach, und ich hatte auch wohl die Gespräche von damals schon vergessen. Aber heute, als ich die Karte empfing, stieg die Erinnerung, mit allerlei eigenem Erlebnis träumerisch vermengt, wieder auf, und mir war, als hätte ich seine Geschichte in dem Buche gelesen, das mir aus den Händen glitt, oder hätte sie gefunden in einem Traume. –
Aber wie dunkel ist es geworden im Zimmer, und wie ferne bist du mir nun in dieser tiefen Dämmerung! Ich sehe nur einen zarten hellen Schimmer dort, wo ich dein Antlitz ahne, und ich weiß nicht, ob du lächelst oder traurig bist. Ob du lächelst, weil ich mir seltsame Geschehnisse erfinde für Menschen, die ich flüchtig kannte, ganze Schicksaleträume und sie dann wieder ruhig zurückgleiten lasse in ihr Leben und ihre Welt? Oder bist du traurig um dieses Knaben willen, der an der Liebe vorbeiging und sich in einer Stunde für immer aus dem Garten dieses süßen Traumes verlor? Sieh, ich wollte es nicht, daß diese Geschichte wehmütig sei und dunkel, ich wollte dir nur von einem Knaben erzählen, den plötzlich die Liebe überfiel, die eigene und die einer andern. Aber die Geschichten, die man des Abends erzählt, wandern alle in die leise Straße der Wehmut hinein. Die Dämmerung senkt sich auf sie mit ihren Schleiern, all die Trauer, die im Abend ruht, wölbt sich sternenlos über sie, das Dunkel sickert in ihr Blut, und all die hellen und bunten Worte, die sie tragen, haben dann einen so vollen und schweren Klang, als kämen sie aus unserm eigensten Leben.
Die Gouvernante
Die beiden Kinder sind nun allein in ihrem Zimmer. Das Licht ist ausgelöscht. Dunkel liegt zwischen ihnen, nur von den Betten her kommt ein leiser weißer Schimmer. Ganz leise atmen die beiden, man möchte glauben, sie schliefen.
»Du!« sagt da eine Stimme. Es ist die Zwölfjährige, die leise, fast ängstlich, in das Dunkel hinfragt.
»Was ists?« antwortet vom anderen Bett die Schwester. Ein Jahr nur ist sie älter.
»Du bist noch wach. Das ist gut. Ich ... ich möchte dir gern etwas erzählen ...«
Keine Antwort kommt von drüben. Nur ein Rascheln im Bett. Die Schwester hat sich aufgerichtet, erwartend blickt sie herüber, man kann ihre Augen funkeln sehn.
»Weißt du ... ich wollte dir sagen ... Aber sag du mir zuerst, ist dir nicht etwas aufgefallen in den letzten Tagen an unserm Fräulein?«
Die andere zögert und denkt nach. »Ja,« sagt sie dann, »aber ich weiß nicht recht, was es ist. Sie ist nicht mehr so streng. Letzthin habe ich zwei Tage keine Aufgaben gemacht, und sie hat mir gar nichts gesagt. Und dann ist sie so, ich weiß nicht wie. Ich glaube, sie kümmert sich gar nicht mehr um uns, sie setzt sich immer abseits und spielt nicht mehr mit, so wie früher.«
»Ich glaube, sie ist sehr traurig und will es nur nicht zeigen. Sie spielt auch nie mehr Klavier.«
Das Schweigen kommt wieder.
Da mahnt die Ältere: »Du wolltest etwas erzählen.«
»Ja, aber du darfst es niemandem sagen, wirklich niemandem, der Mama nicht und nicht deiner Freundin
.«
»Nein, nein!« Sie ist schon ungeduldig. »Was ists also!«
»Also ... jetzt, wie wir schlafen gegangen sind, ist mir plötzlich eingefallen, daß ich dem Fräulein nicht ›Gute Nacht!‹ gesagt habe. Die Schuhe
hab ich schon ausgezogen gehabt, aber ich bin doch hinüber in ihr Zimmer, weißt du, ganz leise, um sie zu überraschen. Ganz vorsichtig mach ich also die Tür auf. Zuerst hab ich geglaubt, sie ist nicht im Zimmer. Das Licht hat gebrannt, aber ich hab sie nicht gesehn. Da plötzlich – ich bin furchtbar erschrocken – hör ich jemand weinen und seh auf einmal, daß sie ganz angezogen auf dem Bett liegt, den Kopf in den Kissen. Geschluchzt hat sie, daß ich zusammengefahren bin. Aber sie hat mich nicht bemerkt. Und da hab ich die Tür ganz leise wieder zugemacht. Einen Augenblick hab ich stehen bleiben müssen, so hab ich gezittert. Da kam es noch einmal ganz deutlichdurch die Tür, dieses Schluchzen, und ich bin rasch heruntergelaufen.«
Sie schweigen beide. Dann sagt die eine ganz leise: »Das arme Fräulein!« Das Wort zittert hin ins Zimmer wie ein verlorener dunkler Ton und wird wieder still.
»Ich möchte wissen, warum sie geweint hat«, sängt die Jüngere an. »Sie hat doch mit niemand Zank
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