Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Dorfstraße im brandenburgischen Ort Dollgow stehen drei Stelen aus Plexiglas und bilden zusammen mit zwei Sitzbänken einen kleinen Erinnerungs- und Informationsort. Auf den transparenten Tafeln sind die biographischen Daten von Erwin und Eva Strittmatter angegeben, illustriert von Fotos aus ihrer Kindheit und Jugend, Fotos der Landschaft und des Vorwerks Schulzenhof, auf dem der Schriftsteller fast vierzig Jahre lang zusammen mit seiner Frau, der Dichterin, lebte und arbeitete. Die Stelen wurden im Jahr 2008 aufgestellt und spiegeln den damals neuesten Erkenntnisstand wider. Das heißt, auch die Mitgliedschaft Erwin Strittmatters im Polizeibataillon 325 und dessen spätere Integration in das SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment Nr. 18 sind dort vermerkt.
Von Dollgow aus führt eine Straße etwa zwei Kilometer durch den Wald zum Vorwerk Schulzenhof mit seinen sieben Häusern und dem kleinen Friedhof. Dort, in Sichtweite zu ihrem Hof, befinden sich die Gräber von Erwin und Eva Strittmatter. Den mittlerweile von Efeu halb überwachsenen großen Findling suchte Erwin Strittmatter zu Lebzeiten noch selbst aus, und er bestimmte auch die Inschrift. Unter einer der großen Tannen, die auf dem Hügel stehen, werde er liegen, schreibt er ganz am Schluss des dritten Teils des Romans»Der Laden«, und dieses Zitat ist auf einer Metalltafel neben dem großen Stein zu lesen. Den im Wald liegenden Stein habe er seinem Sohn Matthes gezeigt. Darauf sollten die Zeilen aus einem Gedicht seiner Frau stehen: »Löscht meine Worte aus und seht, der Nebel geht über die Wiesen …« Erwin Strittmatter war offenbar ein Mensch, der über den Tod hinaus seine Angelegenheiten geregelt haben wollte. Es sei ihm angenehm, zu wissen, wo er dereinst liegen werde, schreibt er. Warum hat er sich für seinen Grabspruch gerade diese Zeilen ausgewählt? Schließlich hatte er jahrzehntelang wie ein Besessener angeschrieben gegen den Gedanken an Auslöschen und Vergessen. Er wollte ein Werk hinterlassen, das auch der Nachwelt noch etwas bedeuten würde. Jeden Manuskriptentwurf, jede Notiz, jeden Brief, den er geschrieben hatte, hob er sorgfältig auf.
Vielleicht hatte die Wahl des Spruches mit seiner ganz persönlichen Vorstellung vom Tod zu tun, den er als »Verwandlung« begriff. Als ob er selbst oder auch seine Worte dann als Nebel von den Wiesen aufsteigen würden? Ein schönes Bild. Vielleicht aber ist diese Inschrift nur Ausdruck der zahlreichen Widersprüche, in denen und mit denen Erwin Strittmatter stets gelebt hat. An den Nebelvorhang, der, als er sich diese Inschrift wählte, noch seine Kriegszeit eingehüllt hatte, wird er dabei eher nicht gedacht haben. Und doch muss er gewusst haben, dass der Vorhang sich heben würde, spätestens wenn seine Frau und seine Söhne die im Archivkeller lagernden Dokumente aus jener Zeit lesen würden.
Das geräumige Arbeitszimmer des Schriftstellers im Obergeschoss des Wohnhauses in Schulzenhof befindet sich seit Jahren im Niemandsland zwischen Wohnraum und Museum. Eva, die Witwe, die bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 2011 in den unteren Räumen des Hauses gelebt hat, ließ alles so, wie eszu Lebzeiten von Erwin Strittmatter ausgesehen hat: die Bücher, die vielen Gemälde, das Sofa, der Ohrensessel, der kleine Schreibtisch mit der Schreibmaschine und auch das Bett, in dem er am Mittag des 31. Januar 1994 gestorben war. Sogar das Bettzeug ist unter einer gemusterten Samtüberdecke erkennbar.
Unten im Stall steht das altersschwache letzte Pony aus der Pferdezucht und gähnt gelangweilt, ein Ableger der roten »Brecht-Nessel«, die Strittmatter und Brecht 1954 als kleines Pflänzchen aus Frankreich mitgebracht hatten, gedeiht nach wie vor im Blumenbeet. Eva Strittmatter ließ nur wenige Besucher in das Arbeitszimmer ihres Mannes. Sie widersetzte sich auch den touristischen Ambitionen der Gemeinde Dollgow, die aus Schulzenhof einen Pilgerort für Strittmatter-Fans machen wollte. Es heißt, das Konzept für den Busparkplatz, für einen Imbissstand und die Texte für die Informationstafeln wären bereits so gut wie fertig gewesen. Nach dem Willen der Witwe aber sollte alles »einfach und natürlich bleiben«. Verständlich, dass sie nicht in einem Museum leben wollte.
In Bohsdorf in der Niederlausitz, dem Ort, in dem Erwin Strittmatter seine Kindheit und Jugend verbrachte, hat die Vermarktung längst stattgefunden. Besucher, die die dortige Dorfstraße entlanggehen, begegnen allenthalben Wegweisern und kleinen
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