Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Tafeln, die auf Erwin Strittmatter hinweisen. Im Zentrum des Erinnerungsgeschehens befindet sich Der Laden , berühmt geworden durch den dreiteiligen Roman, mehr noch durch seine Verfilmung und mittlerweile fast wieder so hergerichtet, wie er auf den Postkarten aus den zwanziger Jahren aussieht. Nur dass auf dem Schild über der Tür jetzt »Der Laden« steht und darunter »Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte«, während die Original-Beschriftung: »Heinrich Strittmatter – Bäckerei und Kolonialwaren« im Innern hängt.
Auch der Ladenraum ist weitgehend in den Zustand versetzt worden, in dem er war, als Strittmatters Mutter Helene noch hinter dem Ladentisch stand und sein Vater Heinrich in der Backstube das Brot in den Ofen schob. Theke, Regale, die alte Waage, Bonbongläser, IMI- und ATA-Päckchen standen und lagen jahrzehntelang vergessen auf dem Dachboden des Hauses, bis Erwin Strittmatters Bruder Heini sie Mitte der neunziger Jahre herunterholte, damit die Leute, die in großer Zahl nach Bohsdorf gepilgert kamen, um das »Bossdom« aus Buch und Film zu entdecken, tatsächlich etwas zum Sehen und Anfassen hatten. Die Idee für eine Gedenkstätte stammte jedoch noch von Erwin Strittmatter selbst, der auch an dieser Stelle für seinen Nachruhm sorgen wollte und deshalb 1991 an seinen Bruder Heinrich schrieb: »Was wirst Du jetzt mit dem Laden machen, wenn die Post ihn aufgekündigt hat? Für das Museum wäre das jetzt der Zeitpunkt zum Zugreifen« 2 .
Am 30. Januar 1999 eröffnete der Erwin-Strittmatter-Verein die »Gedenkstätte« und überzog seitdem das Dorf mit jenem schon erwähnten Netz von Hinweisschildern, zwischen denen man sich wie in einer zweiten Realität durch das Bossdom des Romans bewegen kann. Ich muss ein wenig an die Kerkerzelle in der Marseiller Festung Château d’If denken, in der in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Film »Der Graf von Monte Christo« nach dem berühmten Roman von Alexandre Dumas gedreht wurde und die bis heute viele Touristen anlockt, die gern einmal die kalten rauen Felswände berühren und einen Blick auf den Tunnel werfen möchten, durch den sich der Held schließlich in die Freiheit grub. Doch während die Geschichte des »Grafen von Monte Christo« unzweifelhaft eine Erfindung des Autors und der Ort eine Filmkulisse ist, überlagern sich in Bohsdorf Fiktion und historische Realität. Auf den kleinen Schildern etwa vor den Häusern des »Konkurrenzbäckers« und desStellmachers stehen die Namen der Romanfiguren. Gleichzeitig spielen diese Häuser und ihre damaligen Bewohner eine Rolle in Erwin Strittmatters tatsächlicher Biographie. Wo aber hört die Lebensgeschichte auf und fängt die künstlerische Verdichtung, Bearbeitung an? In Strittmatters Romanen wie auf dem Rundwanderweg in Bohsdorf weiß man das nie so genau. Die Frau mit den rot-schwarz gefärbten Haaren, die für den Strittmatter-Verein hinter dem Ladentisch steht und Erklärungen, Bücher und CDs anzubieten hat, erzählt, dass die Bohsdorfer die »Laden«-Trilogie seinerzeit vor allem unter dem Aspekt durchforstet hätten, wer von ihnen an welcher Stelle und wie vorkomme. Es habe da viel »böses Blut« gegeben, denn manch einer fand sich falsch dargestellt, ungerecht behandelt. Strittmatter habe, sagt sie, wie es nun mal seine Art gewesen sei, die Charaktere recht drastisch gezeichnet. Heute lebe noch eine Person im Dorf, die im Buch beschrieben werde, doch auch die Nachkommen einiger anderer Vorbilder für Figuren aus dem Roman würden die Gedenkstätte nicht betreten.
Unter der Glasplatte des Ladentisches sind die Erstausgaben der wichtigsten Bücher von Strittmatter versammelt, und in der Tür, die nach hinten zur Backstube führt, gibt es tatsächlich das sehr niedrig angebrachte Guckloch, durch das die »Anderthalbmeter-Großmutter« aus dem Roman die Vorgänge im Laden fest im Auge behalten konnte. Die Dame vom Strittmatter-Verein verweist in ihrer Erzählung routiniert auf dieses Loch, das mitsamt der kleinen, detektivisch begabten Großmutter schon so etwas wie Kult geworden zu sein scheint. Offenbar gilt die Tür mit dem Loch als eine Beglaubigung der Echtheit der im Roman beschriebenen Geschichten. Zumindest bildet sie an diesem Ort eine Brücke zwischen Literatur und vergangener Realität. Dahinter, im Vorraum der Backstube, gibt es eine kleine Ausstellung zumLeben Erwin Strittmatters und seiner Familie zu besichtigen. Auch die Wohnräume auf der linken Seite des Hauses
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