Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Manuskript stehlen wollte, kehrt er in seine Lausitzer Heimat zurück, um fortan als Bergmann zu arbeiten und zu schreiben.
Der letzte Teil der »Wundertäter«-Trilogie handelt von der politischen Ernüchterung des Romanhelden, die zugleich die Ernüchterung ihres Autors Erwin Strittmatter spiegelt. Seine Vorbildfigur ist nicht mehr der kommunistische Kämpfer, sondern der sorbische Weise Zaroba, an dessen menschliche Integrität und zeitlose Lebensphilosophie er sich nun halten möchte.
»Der Laden«, Strittmatters Alterswerk, das er zwischen 1983 und 1992 schuf, ist sein dritter Versuch, sich schreibend ein Bild von der eigenen Lebensgeschichte zu machen. Die Geschichte des Esau Matt bewegt sich zweifellos – zumindest was die äußeren Umstände, Ereignisse und Personen betrifft – am dichtesten an seiner eigenen Biographie. Der kleine Esau, ein Alter Ego von Lope Kleinermann und Stanislaus Büdner, stellt wunderliche Fragen, die sonst niemandem einfallen, und er ist, wie seine Mutter sagt: »empfindlich uff de Wörter«. Er stammt aber diesmal nicht aus den in der DDR-Gesellschaft lange Zeit favorisierten proletarischen Verhältnissen, sondern er wächst – ebenso wie Erwin Strittmatter selbst – in einer kleinbürgerlichen Bäcker- und Ladenbesitzerfamilie auf, muss nicht dauernd Hunger leiden, bekommt zu seinem Geburtstag richtige Geschenke und wird von einem Kindermädchen betreut. Der erste Teil endet, als Esau im Alter von zwölf Jahren Bossdom verlässt, um in Spremberg das Gymnasium zu besuchen. Der zweite Teil behandelt die Zeit biszum vorzeitigen dramatischen Abgang von der Schule. Die Handlung des dritten Teils setzt 1945 ein, als der Held aus dem Krieg und in das elterliche Geschäft zurückkehrt, und endet drei, vier Jahre später. Esau Matt wird Redakteur der Kreiszeitung und tritt aus diesem Anlass in die SED ein. Während Stanislaus Büdner im »Wundertäter II« für diesen Schritt noch eine gewisse Bereitschaft zur Begeisterung mitbringt, schreibt Strittmatter seinem Esau Matt beim Ausfüllen des Aufnahmeantrags nur noch ganz pragmatische Gründe zu: Er will Schriftsteller werden und hofft als Redakteur ungestört an seinem Roman schreiben zu können. »Der Laden« ist ein eher unpolitisches Buch. Darin liegt, nebenbei gesagt, seine große Stärke, sein Reiz, weil hier in einer wunderbaren Sprache Geschichten und Nebengeschichten in ihrer Fülle und Vielschichtigkeit aufgezeichnet werden. In seiner Abkehr von jeglicher politischen Botschaft und gesellschaftlichen Vision bildet Strittmatter ziemlich genau den Zeitgeist der DDR der achtziger Jahre ab. Es ist das Zeugnis eines Desillusionierten, der sich in seinen Hoffnungen mehr als einmal getäuscht sah und nun am Ende seines Lebens allen Ideologien misstraut. Das eigene frühere Engagement wird rückprojizierend nicht nur in Frage gestellt, sondern heruntergespielt. Noch etwas fällt auf. Ähnlich wie in seinem ersten Roman »Ochsenkutscher« liegt der Schwerpunkt der Erzählung auf der Kindheit und Jugend des Protagonisten. Im dritten Band kommen NS-Zeit und Krieg nur in fragmentarischen Rückgriffen, die Jahrzehnte der DDR nur in ausgewählten Vorgriffen vor.
Ursprünglich hatte Erwin Strittmatter den »Laden« wohl als Autobiographie geplant. Am 9. Juli 1967 notiert er in sein Tagebuch, nach stundenlangem Ritt durch die Wälder habe er eine kurze Rast am Wittwe-See gemacht. »Dort Idee für autobiographischen Roman. (Buch?) […] Im Sinne von ›Dichtung und Wahrheit‹.«
Goethes in zehn Bücher gegliedertes Werk »Dichtung und Wahrheit«, auf das sich Strittmatter bezieht, ist der Versuch des alternden Dichters, seine Lebensgeschichte zu rekonstruieren, soweit das eigene Gedächtnis, überlieferte Briefe, Aufzeichnungen und die Erinnerung der Zeitgenossinnen und -genossen dies hergaben. Getreu seinem Vorsatz im Titel »Dichtung und Wahrheit« klärt Goethe darin auch die Bezüge zwischen einigen seiner berühmtesten literarischen Figuren und den Menschen, die ihm im Leben begegneten und ihn zu diesen Figuren inspirierten. So erfahren wir, dass seine Beziehung zu jener Lotte in Wetzlar in Wirklichkeit keine dramatischen Verwicklungen nach sich zog und wie er den Selbstmord eines unglücklich verliebten jungen Mannes aus der gleichen Zeit und gleichen Stadt dort hineinmischte. Er verrät, dass Züge der Friederike aus Sesenheim in die Gestalten der beiden Marien in »Götz von Berlichingen« und »Clavigo« flossen und dass die
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