Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Neffe, und wann gedenkst Du abzufahren?
    – In sechs bis sieben Monaten; ich brauche lange Nächte, Winternächte, um leichter durchzukommen.
    – Ich will Dir das Schiff zu rechter Zeit fertig stellen, Neffe.
    – Also abgemacht, Onkel?
    – Abgemacht.
    – Unter Discretion?
    – Discretion – versteht sich!«
    Und fünf Monate nach dieser Unterredung wurde ein Steamer, dessen Bestimmung Niemand kannte, von den Werften von Kelvindock abgelassen – es war der Delphin.
Fußnoten
    1 Benennung für einen Kapitän der Handelsmarine in England.
     
    2 Wörtlich Baumwollen Hungersnoth.
Zweites Capitel.
Ankersichten.
    Die Ausrüstung des Delphin nahm nicht viel Zeit in Anspruch; seine Betakelung war fertig, er mußte nur noch adjustirt werden. Der Delphin führte drei Schoonermasten, und dies war fast als überflüssiger Luxus anzusehen, denn er rechnete nicht auf den Wind, um den nordstaatlichen Kreuzern zu entkommen, sondern nur auf die mächtige Maschine in seinen Seiten, und er that Recht daran.
    Gegen Ende December wurde der Delphin in der Bucht des Clyde geprobt, und es war schwer zu bestimmen, ob er den Kapitän oder den Erbauer mehr zufrieden stellte. Der neue Steamer glitt prächtig dahin, und das »Patent Log« 1 zeigte eine Schnelligkeit von siebenzehn Meilen in der Stunde 2 , was bis jetzt weder bei einem englischen, französischen noch amerikanischen Schiffe erreicht worden war. Bei einem Wettlauf mit den raschesten Fahrzeugen, bei einem Match zur See hätte der Delphin jedenfalls um mehrere Längen gewonnen.
    Am 25. December sollte die Befrachtung vor sich gehen, und der Steamer legte sich zu diesem Zweck an den Steam-boat-Kai, etwas unterhalb Glasgow-Bridge, der letzten Brücke, die vor seiner Mündung über den Clyde führt. Ungeheure Wharfs waren dort mit Kleider-Magazinen, Waffen und Munition gefüllt, welche Vorräthe so schnell wie möglich in den Rumpf des Delphin übergingen. Diese Ladung verrieth nun freilich die Bestimmung des Schiffes, und das Haus Playfair konnte nicht länger sein Geheimniß verschwiegen halten. Kein amerikanischer Kreuzer war gegenwärtig in den englischen Gewässern signalisirt worden, und da die Abfahrt des Delphin nahe bevorstand, mußte doch auch die Mannschaft angeworben werden. Auch hierbei war es natürlich nöthig, daß das Schweigen gebrochen wurde, denn wenn man die Leute einschiffte, mußte man ihnen doch auch ihre Bestimmung und das Ziel der Reise mittheilen. Man forderte, daß sie ihre Haut zu Markte tragen sollten, und solch Verlangen war nur gerechtfertigt, wenn man ihnen reinen Wein darüber eingeschenkt hatte, wie und zu welchem Zweck.
    Die Bestimmung des Schiffes hielt indessen Niemanden von der Reise zurück; der Sold war hoch, und jedem Manne wurde von vornherein ein Antheil an dem Unternehmen zugesichert. James Playfair hatte nur zu wählen, denn es erschienen bewährte, tüchtige Seeleute in Menge, und man mußte gestehen, er wählte mit schnellem Auge und richtigem Verständniß, nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden waren die Namen von dreißig Matrosen in die Bemannungsliste eingetragen, die der Yacht Ihrer allergnädigsten Majestät Ehre gemacht haben würden.
    Die Abreise des Delphin wurde auf den 3. Januar festgesetzt, und schon am 31. December war er bereit; sein Rumpf war mit Munition und Lebensmitteln angefüllt, die Kammern strotzten von Kohlen, kurz, Nichts hielt ihn mehr zurück.
    Am 2. Januar befand sich James Playfair an Bord und überschaute noch einmal mit dem Blick eines Kapitäns sein Schiff, als ein Mann am Hinterdeck an der Oeffnung im Schiffsborde erschien und den Skipper zu sprechen wünschte. Ein Matrose führte ihn auf die Brücke.
    Es war ein kräftiger, breitschulteriger Mensch mit sehr rothem Gesicht, hinter dessen harmlosem, fast einfältigem Ausdruck ein gewisser Fonds von Schlauheit und Munterkeit verborgen zu sein schien. Man sah bald, daß er in seemännischen Gebräuchen nicht bewandert war, auch blickte er um sich wie Jemand, der noch nicht viel auf ein Schiffsverdeck gekommen ist, trotzdem aber suchte er sich das Ansehen eines alten Seebären zu geben, betrachtete das Takelwerk des Delphin und schlenderte nach Art der Matrosen.
    Als er vor dem Kapitän stand, sah er ihm fest in’s Auge und fragte:
    »Kapitän James Playfair?
    – Ja, was wünschest Du von mir?
    – Möchte mich an Bord einschiffen.
    – Ich habe keinen Platz mehr. Die Mannschaft ist vollzählig.
    – Ein Mann mehr wird Nichts schaden; im

Weitere Kostenlose Bücher