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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Der alte Zauberer
    Von der Bahnstation bis zur Abzweigung, die nach Waiblikon führte, war die Strasse noch asphaltiert, und Wachtmeister Studer fluchte nicht allzusehr, obwohl es vom Himmel schüttete und ein durchaus unangenehmer Herbstwind pfiff. Ausser dem Wetter störte den Wachtmeister einzig die »Rösti«, die seine Frau ihm am Morgen vorgesetzt hatte. Denn auf die »Rösti« am Morgen hielt er, der Wachtmeister Studer. Sein Vater, der im Emmental Bauer gewesen war, hatte sie am Morgen gegessen, sein Grossvater auch; warum sollte er eine Ausnahme machen? Aber dass man alt wurde, war eben eine Tatsache, die Verdauung funktionierte nicht mehr wie früher, man bekam Sodbrennen von der »Rösti«. Studer schob dies auf das schlechte Fett, das seine Frau wohl der Sparsamkeit wegen gebraucht hatte. Irgend so ein modernes Geschlarpf war wohl das Fett. Er trappte mit den dicken Sohlen durch die Pfützen, zog den Gummimantel enger an den Bauch. Nicht einmal rauchen konnte man bei diesem Wetter.
    Da war die Abzweigung, sie war gerade breit genug, dass ein Güllenwagen durchfahren konnte, rechts ging es steil bergab in ein Bachbett, links stieg ein triefender Wald in die Höhe. Der Wachtmeister dachte an Dinge, an die man eben so denkt, wenn es schüttet und wenn man friert: an einen Jassabend, an seine Amtsstube, an seinen Sohn, der als Setzer bald ausgelernt hatte. Studer hatte ein dickes, rotes Gesicht, das jetzt ein wenig bläulich angelaufen war, und einen vertrauenerweckenden Schnurrbart. Zwischen den vom Rauchen braungewordenen Schneidezähnen spuckte er kunstgerecht, wie ein Achtjähriger, in weitem geradem Strahl, und der Regen war machtlos gegen diese Kunst, und der Wind auch: Das freute Studer. Dass ihm hingegen der Regen die Ärmel herab in die Taschen lief,das ärgerte ihn wieder, so dass er nicht recht wusste, welches Gesicht er schneiden sollte. Es war überhaupt schwer, bei diesem Wetter seinen eigenen Willen durchzusetzen, besonders was das Gesichterschneiden betraf, denn der Regen fuhr ihm manchmal mit seinen nassen Fingern in die Augen, und die breite Krempe des Hutes war ein ungenügender Schutz gegen derartig böswillige Attacken.
    Die Strasse wurde steil, Studer fluchte ein wenig, schüttelte den Kopf, dass die Tropfen von seinem Hutrand tangential abflogen. Es war ja schliesslich, dachte er, nicht die Schuld des kantonalen Polizeidirektors, dass er hier in der Nässe herumvagieren musste. Sonst gab man ja dort oben auf anonyme Briefe nicht viel, aber hier schien der Fall doch etwas anders zu liegen, und das Ganze war eine etwas kohlige Geschichte. Wo man da anpacken sollte, war nicht ganz klar, entweder war das Ganze ein Versuch, die Behörde zu blamieren, und da musste man doppelt vorsichtig sein, oder es war etwas ganz Grosses dahinter, ein Sensationsprozess vielleicht, und dann kamen die Reporter von den ausländischen Zeitungen, und man bekam ein wenig internationalen Ruhm weg. Das war nicht zu verachten. Mein Gott, man hatte es ja nicht nötig, man war ja sonst schon in den Fachkreisen bekannt, in Wien besonders, in Paris auch; es hatten sich da ein- oder zweimal ziemlich schwierige Internationale (halb Spione, halb Einbrecher) in der Schweiz wie in einer Mausefalle gefangen. Das sollte doch genügen, besonders wenn die Pensionierung in erreichbarer Nähe stand – noch fünf Jahre ... fünf Jahre wird man doch noch aushalten? Aber – seinen Namen zu lesen, im »Journal« zum Beispiel, mit schmeichelhaften Beiwörtern, das war nicht zu verachten. Etwa so: »Le distingué inspecteur de la sûreté Studer, dont le talent remarquable est bien connu dans les milieux policiers ...« und vielleicht noch seine Photographie dazu. Ja, die Franzosen hatten es los, in der Schweizer Presse war man sparsamer mit lobenden Beiwörtern.
    Da kam rechts vom Wege ein Heuschober in Sicht. Einwenig unterstehen kann man, dachte Studer und fühlte dabei nach seiner Brusttasche. Gut, dass ihm die Frau noch Kognak gerüstet hatte, der würde jetzt gerade lau sein von der Körperwärme, und in der zerfliessenden Sintflut ringsum wäre eine Stärkung doch nicht zu verachten. Studer ging in den Heuschober, das Heu war trocken, er nahm einen Büschel, wischte sich die nassen Schuhe ab, trocknete die Hände an einem sauberen Taschentuch und zog den Brief aus der Tasche, der den Polizeidirektor so aufgeregt hatte. Es stand wenig darin:
    »Der Bauer Berthold Leuenberger in Waiblikon begräbt seine vierte Frau. Er ist

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